Seniler Senior? Bidens Wahlkampf-Desaster und ein Wutanfall
Bidens Bemühungen, die Öffentlichkeit von seiner Eignung für das Präsidentenamt zu überzeugen, endeten in einem kontroversen Austausch mit Journalisten.
Joe Biden ist empört. «Ich weiss, was zum Teufel ich tue. Ich bin Präsident und ich habe dieses Land wieder auf die Beine gebracht», sagt der 81-Jährige sichtlich aufgebracht an einem Pult im Weissen Haus. Extrem kurzfristig hat der Demokrat ein Statement in der Regierungszentrale anberaumt, um sich seine Wut von der Seele zu reden.
Ja, er sei ein älterer Mann, aber sein Gedächtnis sei völlig in Ordnung, wettert er da. Bidens Versuch, die Öffentlichkeit von seiner Eignung für das höchste Amt im Staat zu überzeugen, endet in einem turbulenten Schlagabtausch mit Journalisten. Und mit einem weiteren Beleg, dass der älteste US-Präsident aller Zeiten tatsächlich vieles durcheinanderbringt.
«Wohlmeinender älterer Mann mit einem schlechten Gedächtnis»
Was hat seine wütende Reaktion ausgelöst? Der brisante Abschlussbericht des Sonderermittlers Robert Hur zur Dokumenten-Affäre, die Biden vor etwa einem Jahr in Erklärungsnot brachte. In dem Bericht steckt eigentlich eine positive Nachricht für Biden: Die Tatsache, dass er Jahre nach seinem Abschied aus dem US-Vizepräsidentenamt vertrauliche Regierungsunterlagen privat aufbewahrte, hat für den jetzigen Präsidenten kein juristisches Nachspiel. Das stellt Hur schon im ersten Satz seines Abschlussberichts klar.
Doch was auf den mehr als 300 Seiten danach folgt, ist vernichtend. Der mächtigste Mann der Welt wird darin in aller Ausführlichkeit dargestellt als tattriger Greis, als «wohlmeinender älterer Mann mit einem schlechten Gedächtnis», dem man schwerlich böse Absicht nachweisen könne. Mitten im Wahlkampf für eine zweite Amtszeit ist das für Biden politisch verheerend.
Bidens ständige Patzer
Der Demokrat will bei der Präsidentenwahl im November erneut antreten, und sein Alter ist ohnehin das grösste Problem seiner Wiederwahlkampagne. Selbst in seiner eigenen Partei stellen sich einige die Frage, ob Biden in seinem Alter die richtige Wahl für einen der härtesten Jobs der Welt ist. Die Republikaner wiederum nutzen Bidens ständige Patzer schon jetzt für stetige politische Angriffe gegen ihn.
Einige versuchen nun offensiv, ihn aufgrund seiner geistigen Verfasstheit für amtsuntauglich zu erklären. Alle paar Tage liefert Biden neues Futter. Allein innerhalb einer Woche verwechselte Biden zuletzt Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron mit einem von dessen Vorgängern, François Mitterrand. Und kurz darauf die frühere Kanzlerin Angela Merkel mit dem verstorbenen Ex-Regierungschef Helmut Kohl.
Falls Biden ausfällt, würde ihn im Amt erst einmal Vizepräsidentin Kamala Harris vertreten. Als Ersatzkandidatin für die Präsidentenwahl aber hätte sie aufgrund mangelnder Sichtbarkeit und Beliebtheitswerte wohl kaum eine Chance. Einen offiziellen Plan-B hat die Partei nicht: Sie hat es versäumt, einen Nachfolger aufzubauen. Und Biden behauptet von sich, er sei die am besten qualifizierte Person für den Job.
Das bittere Urteil
Und nun das: Ein Sonderermittler des Justizministeriums kommt nach einer 15-monatigen Untersuchung mit 173 Befragungen von 147 Zeugen und der Sichtung von Millionen Dokumenten zu dem hochoffiziellen Schluss, dass es um die mentale Fitness des US-Präsidenten schlecht bestellt ist. Biden stand den Ermittlern an zwei Tagen im vergangenen Oktober fünf Stunden lang Rede und Antwort. Ausgewertet wurden auch lange Mitschnitte von Unterhaltungen Bidens mit seinem Ghostwriter für ein 2017 erschienenes Buch. Das Material hinterliess bei den Ermittlern ein desaströses Bild.
In dem Bericht von Sonderermittler Hur heisst es, Bidens Gedächtnis habe «erhebliche Einschränkungen» offenbart und sei teils «verschwommen» gewesen. Die Gespräche seien «oft quälend langsam» verlaufen. Biden habe Mühe gehabt, sich an Ereignisse zu erinnern und mitunter sogar, eigene Notizen zu lesen und wiederzugeben. «Er wusste nicht mehr, wann er Vizepräsident war, vergass am ersten Tag des Gesprächs, wann seine Amtszeit endete, und vergass am zweiten Tag des Gesprächs, wann seine Amtszeit begann.»
Der Präsident habe sich auch nicht mehr erinnern können, wann sein Sohn Beau gestorben sei – darüber echauffiert sich Biden bei seinem Auftritt ganz besonders. «Wie zur Hölle kann er es wagen, das aufzubringen», schimpft er über den Sonderermittler. Der Tod seines Sohnes ist eine der offenen Wunden in Bidens Leben. Auch sonst weist er mehrere Anschuldigungen aus dem Bericht zurück – und all die Zweifel an seiner geistigen Verfassung.
Die Affäre
Doch worum ging es bei dem Bericht eigentlich? Vor etwa einem Jahr waren in mehreren Tranchen vertrauliche Dokumente aus Bidens Vizepräsidenten-Zeit in Privaträumen des Demokraten aufgetaucht – unter anderem in der Garage seines Hauses in Wilmington. Zunächst waren Mitarbeiter in privaten Büroräumen auf Dokumente gestossen, später wurden Ermittler eingeschaltet, die bei Durchsuchungen Räume und Häuser an verschiedenen Orten durchkämmten. Justizminister Merrick Garland setzte schliesslich den Sonderermittler ein, um die heiklen Anschuldigungen gegen seinen eigenen Chef untersuchen zu lassen.
Garland wählte dabei – womöglich als Versuch, grösstmögliche Unabhängigkeit zu zeigen – als Sonderermittler einen früheren Staatsanwalt. Dieser war für diese Position vom damaligen Präsidenten Donald Trump nominiert worden. Und der lieferte nun einen Bericht ab, der sich in Teilen eher wie die Auswertung eines geistigen Kompetenztests liest.
Der brisante Bericht
Sonderermittler Hur kommt darin zu dem Schluss, dass in der Dokumenten-Affäre keine Anklage gegen Biden gerechtfertigt sei. Der Demokrat habe zwar als Privatperson «absichtlich geheime Materialien aufbewahrt» und mitunter auch mit seinem Ghostwriter geteilt. Dass dies dennoch keine juristischen Konsequenzen haben wird, begründet Hur unter anderem mit Bidens geistigem Zustand.
«Wir haben auch bedacht, dass sich Herr Biden vor Gericht wahrscheinlich als sympathischer, wohlmeinender, älterer Mann mit schlechtem Gedächtnis darstellen würde, wie er es auch während unserer Befragung tat.» Es wäre wohl schwierig, Geschworene davon zu überzeugen, dass sie Biden nach seiner Amtszeit – «einen dann ehemaligen Präsidenten weit über 80» – einer Straftat für schuldig befinden sollten, die «einen geistigen Zustand der Vorsätzlichkeit» erfordere. Das sitzt.
Ermittler fanden in Bidens Haus in Wilmington unter anderem als vertraulich eingestufte Dokumente zu Afghanistan – in einem ramponierten Pappkarton, umgeben von allerlei Haushaltsgegenständen, etwa einer Leiter, Blumentöpfen, Dekomaterial. Fotos von diesem Fund und diversen anderen sind in dem Bericht enthalten. Das Weisse Haus hatte vorab die Möglichkeit, Schwärzungen des Berichtes zu verlangen, machte davon aber keinen Gebrauch.
Die Munition für Trump
Die Angelegenheit ist für ihn auch deshalb politisch heikel, weil sein voraussichtlicher Herausforderer bei der Präsidentenwahl, sein republikanischer Amtsvorgänger Trump, wegen ähnlicher Vorwürfe ins Visier von Ermittlern geriet – und nicht ohne eine Anklage davonkam. Trumps Fall hat freilich ein ganz anderes Ausmass: Er lagerte nach seinem Abschied aus dem Weissen Haus in deutlich grösserem Umfang Regierungsunterlagen in einem privaten Anwesen – darunter Dokumente mit höchster Geheimhaltungsstufe, etwa zu den nuklearen Fähigkeiten der USA. Vorgeworfen wird Trump ausserdem, er habe die Ermittlungen bewusst behindert und mithilfe von Mitarbeiten versucht, Material verschwinden zu lassen. Er muss sich dafür ab Ende Mai vor Gericht verantworten.
Trump wettert nun – erwartbar und wie schon zuvor – über ein angebliches Zwei-Klassen-System in der US-Justiz: Bidens Fall sei schlimmer als seiner, und trotzdem werde der Präsident verschont. Diese Botschaft dürfte Trump weiter durch das Wahljahr tragen – und all die Einschätzungen zu Bidens geistiger Fitness für seine Zwecke ausschlachten. Dabei bringt Trump selbst ständig Namen durcheinander. Nur fällt das bei einer Wahlkampfrede weniger ins Gewicht als bei einem Auftritt des amtierenden Präsidenten.
Bezeichnet ägyptischen Präsidenten Al-Sisi als Mexiko-Staatschef
Biden betont mehrfach, sein Fall sei in keiner Weise mit dem von Trump vergleichbar. Er habe umfassend kooperiert bei den Ermittlungen, anders als Trump. In seinem Fall gebe es auch keine Anklage.
Und dann passiert, was nicht hätte passieren dürfen: Biden ist eigentlich schon dabei, nach seinem Wutauftritt den Raum zu verlassen, da stoppt er – und kehrt zurück ans Pult, um noch eine Frage zum Konflikt im Nahen Osten zu beantworten. In seiner Replik macht er den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi zum Staatschef von Mexiko. Voller Häme reagiert der republikanische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Mike Johnson: Mit seinem Auftritt habe Biden endgültig bewiesen, wie es um seine geistige Verfasstheit stehe.