Venezuela: Maduro lässt Hilfsgüter mit Gewalt stoppen
Es sollte der Tag sein, an dem Venezuelas Opposition das Militär für sich gewinnt und Hilfsgüter für die notleidende Bevölkerung ins Land bringt. Am Ende brennen Lebensmittel. Demonstranten fliehen vor Tränengas. Der Machthaber tanzt.
Das Wichtigste in Kürze
- Es sollte der grosse Befreiungsschlag gegen Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro werden.
Doch der Versuch der Opposition, dringend benötigte Hilfsgüter aus Kolumbien und Brasilien über die abgeriegelte Grenze nach Venezuela zu bringen, endete am Wochenende an einer Wand aus Panzern, Soldaten und Tränengas. Die von der Opposition ersehnte Unterstützung des venezolanischen Militärs blieb bis auf Ausnahmen aus.
Venezuelas selbst ernannter Interimspräsident Juan Guaidó sprach von «Sadismus», US-Aussenminister Mike Pompeo nannte Maduro einen «kranken Tyrannen», der humanitäre Hilfe brutal an den Grenzen abschmettern lasse. Guaidó kündigte an, mit seinen internationalen Unterstützern wie beispielsweise US-Vizepräsident Mike Pence am Montag in Bogotá das weitere Vorgehen zu besprechen und dabei «alle Optionen» offen zu halten. Pompeo drohte Gegnern der Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela Massnahmen an.
Maduro zeigte sich unbeeindruckt und erklärte sich zum Sieger in dem Tauziehen um die Hilfsgüter. «Der Staatsstreich (der Opposition) ist gescheitert», sagte er am Samstag (Ortszeit). Er bezeichnete Guaidó als «Clown, Hampelmann, Marionette des US-Imperialismus». Am Abend sah die Nation den 56 Jahre alten Maduro in einer Übertragung des Staatsfernsehens mit seiner Frau in der Hauptstadt Caracas Salsa tanzen. «Ich bin stärker als jemals zuvor», sagte er. «Warum ich hier bin? Weil ihr [das Volk] diejenigen seid, die das entscheiden und nicht Donald Trump.»
Nach Darstellung von Maduro diente die Hilfsgüteraktion dazu, im Auftrag der USA eine militärische Intervention und den Sturz der Regierung einzuleiten. Zu Kolumbien brach Maduro die diplomatischen Beziehungen ab. Er forderte die Diplomaten auf, binnen 24 Stunden Venezuela zu verlassen. Kolumbiens Aussenminister Carlos Holmes Trujillo bekräftigte, seine Regierung erkenne Guaidó als Präsidenten Venezuelas an. Zum Schutz seiner Diplomaten habe er jedoch deren Heimreise angeordnet.
Bei dem Showdown in dem seit Wochen tobenden Machtkampf blieben eigentlich nur Verlierer übrig. An den Übergängen zu Kolumbien und Brasilien wurden mindestens drei Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt, als das venezolanische Militär verhinderte, dass die auf kolumbianischer und brasilianischer Seite bereitgestellten Hilfslieferungen die Grenze passieren. Am Ende kam nur ein Bruchteil Nahrungsmittel, Medikamente und Hygieneartikel bei der notleidenden Bevölkerung in Venezuela an. Ausserdem verwandelt Maduro mit den Grenzschliessungen sein Land immer mehr in eine Festung.
Guaidó hatte den 23. Februar als Tag angekündigt, an dem er und seine Mitstreiter die von Kolumbien, Brasilien, Chile und den USA zur Verfügung gestellten Hilfslieferungen notfalls auch per Hand über die Grenzen bringen wollten. Guaidó hatte darauf gehofft, dass sich das venezolanische Militär auf seine Seite stellt und die Hilfsgüter durchlässt. Tatsächlich desertierten einzelne Soldaten an der Grenze zwischen der kolumbianischen Stadt Cúcuta und dem venezolanischen Ureña. Guaidó sprach von mehr als 60 Soldaten, die am Samstag auf die «richtige Seite» gewechselt seien.
Doch davon abgesehen hielt die Armee die von Maduro geschlossenen Grenzen versiegelt. Auf einer der Grenzbrücken zu Kolumbien brachten venezolanische Sicherheitskräfte die anrollenden Lastwagen mit Lebensmitteln und Medikamenten mit Tränengas und Gummigeschossen zum Stehen. Zwei der Lastwagen gerieten in Brand.
Auch im brasilianischen Grenzort Paracaima wurden zwei voll beladene Lastwagen an der Durchfahrt gehindert. Nach Darstellung brasilianischer Armeeangehöriger setzte das venezolanische Militär Tränengas über die Grenze hinweg ein, um Demonstranten auf brasilianischer Seite zurückzudrängen. Im Ort Santa Elena de Uairén auf venezolanischer Seite kamen laut einer venezolanischen Ärztin drei Menschen durch Schüsse ums Leben. Auch auf dem Seeweg waren die Grenzen dicht: Ein aus Puerto Rico kommendes Schiff mit Hilfsgütern wurde in der Karibik von venezolanischen Kriegsschiffen unter Androhung von Waffeneinsatz abgewiesen.
Guaidó warf nach der gescheiterten Aktion Maduro Sadismus vor: Er habe «Essen im Angesicht von Hungernden» und «Medizin vor den Augen Kranker» verbrannt. Guaidó bezeichnete das Regime als «gleichgültig», dessen Anhänger «feiern das Massaker an unseren Leuten; sie feiern, dass venezolanische Krankenhäuser heute keine Medikamente-Lieferungen erhalten».
US-Minister Pompeo verurteilte die Gewalt von «Maduros Schlägern» gegen die Zivilbevölkerung. «Was für ein kranker Tyrann stoppt Nahrung für hungrige Menschen?», schrieb er auf Twitter. Die Zeit sei gekommen, die verzweifelten Menschen in Venezuela zu unterstützen. Die Europäische Union rief am Sonntag Maduro auf, Hilfslieferungen ins Land zu lassen. «Die Weigerung des Regimes, die humanitäre Notlage anzuerkennen, führt zu einer Eskalation der Spannungen», sagte die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini am Sonntag im Namen aller 28 EU-Staaten. Sei forderte zudem von Sicherheitskräften des Landes, «den Gebrauch von Gewalt zu vermeiden».
Guaidó appellierte in seiner Ansprache erneut an das Militär, sich doch noch «auf die richtige Seite der Geschichte» zu stellen: Niemand schulde jemandem, der wie Maduro handle, Gehorsam. Gleichsam kündigte er an, am Montag mit US-Vizepräsident Pence und den lateinamerikanischen Aussenministern der sogenannten Lima-Gruppe in Bogota zusammenzukommen, um nächste Schritte zu besprechen. Dabei sollten laut Guaidó «alle Karten auf dem Tisch bleiben».
Ungewiss ist derzeit, ob und wie Guaidó, der es trotz eines Ausreiseverbots am Freitag geschafft hatte, die Grenze nach Kolumbien zu überqueren, wieder nach Venezuela zurückkommen wird.
Die in Bedrängnis geratene sozialistische Regierung von Maduro kann nicht nur auf das Militär, sondern auch auf die Unterstützung von Ländern wie die Türkei, Russland, China, Kuba, Bolivien und Nicaragua sowie die Südafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft setzen. An sie appellierte der Nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton, genau hinzusehen, was sie da unterstützten: «Maskierte Schläger, mit scharfer Munition getötete Zivilisten und das Verbrennen von Lastern mit dringend benötigtem Essen und Medizin. Das war Maduros Antwort auf die friedlichen Bemühungen, Venezolanern zu helfen.»
Parlamentschef Guaidó hatte sich als Vorsitzender des letzten demokratisch gewählten Gremiums im Land am 23. Januar zum Übergangspräsidenten ausgerufen und Maduro damit offen herausgefordert. Der 35-Jährige begründet seine Legitimation damit, dass die letzten Wahlen weder frei noch fair waren.
Das wegen seiner weltweit grössten Öl-Vorkommen eigentlich reiche Land ist in den vergangenen Jahren zunehmend in eine schwere Versorgungskrise abgeglitten. Angesichts von Hunger, Armut und medizinischer Versorgungsnot sind weit mehr als drei Millionen Menschen aus dem Land geflüchtet.