Alarm vor vernachlässigten Fluchtkrisen in Afrika

Wenn bekannte Konflikte die Schlagzeilen beherrschen, haben es andere Krisen schwer. Die Auswertung einer Hilfsorganisation zeigt eine besonders vernachlässigte Region. UN-Vertreter schlagen Alarm.

Sudan
Menschen besteigen einen Lastwagen, um eine Stadt im Sudan zu verlassen. - Uncredited/AP/dpa

Mehr als 26 Millionen Menschen sind allein in West- und Zentralafrika und angrenzenden grossen Konfliktstaaten auf der Flucht. Humanitäre Organisationen schlagen Alarm: Die wachsenden Krisen erhielten kaum politische und mediale Aufmerksamkeit und viel zu wenig Finanzierung, um die Not zu lindern. Der Grossteil der Menschen sucht innerhalb der eigenen Landesgrenzen Schutz, bei der Verschlechterung der Lage und angesichts knapper Mittel könne sich das aber ändern, wenn den Menschen nicht mehr vor Ort geholfen werden könne, sagte der Regionaldirektor für West- und Zentralafrika des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR), Abdouraouf Gnon Kondé, der Deutschen Presse-Agentur.

Die Hilfsorganisation Norwegian Refugee Council (NRC) veröffentlichte am Montag ihren jährlichen Bericht, in dem sie die weltweit zehn von Politik, Medien und Gebern am stärksten vernachlässigten Flucht- und Vertreibungskrisen ausmachte. Bis auf eine Ausnahme liegen alle in West- und Zentralafrika oder einem angrenzenden Staat. In den meisten der Länder war der humanitäre Finanzbedarf 2023 NRC zufolge nur höchstens zur Hälfte, oft deutlich weniger, gedeckt. Die Top Ten sind demnach Burkina Faso, Kamerun, die Demokratische Republik Kongo, Mali, der Niger, Honduras, der Südsudan, die Zentralafrikanische Republik, der Tschad und schliesslich der Sudan.

BURKINA FASO:

In dem westafrikanischen Staat mit rund 23 Millionen Einwohnern sind nach UNHCR-Angaben mehr als zwei Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Die meisten finden in anderen Dörfern und Städten Zuflucht, was zu enormem Druck auf die knappen Ressourcen führt. Bis zu zwei Millionen Menschen waren zudem nach Angaben von NRC in Orten gefangen, die unter der Blockade von islamistischen Terrormilizen standen. Bislang spielt sich die Flüchtlingskrise grösstenteils im Land ab, doch die Zahl der Burkinabé, die ins Ausland flohen, verdreifachte sich 2023 auf mehr als 148'000 Menschen.

MALI UND NIGER:

Auch Burkina Fasos Nachbarstaaten werden von den Terrormilizen terrorisiert. Alle drei Staaten werden nach Putschen von Militärjuntas regiert. «Die politischen Herausforderungen, die die Geber oder Partner in einigen dieser Länder haben, führen manchmal dazu, dass die humanitäre Hilfe wegen des verfassungswidrigen Charakters des Regimes ausgesetzt wird», sagt UNHCR-Regionaldirektor Kondé. «Wir sollten die politischen Gespräche und den Dialog trennen und dafür sorgen, dass die Zivilbevölkerung nicht vergessen und nicht allein gelassen wird.» In Mali zählt das UNHCR zuletzt rund 350'000 aktuell Vertriebene im Land, rund 93'000 Flüchtlinge aus anderen Ländern sowie mehr als 800'000 Malier, die Hilfe bei der Rückkehr benötigen. Im Niger suchen mehr als 400'000 Einwohner sowie mehr als 400'000 Menschen aus anderen Ländern Zuflucht.

KAMERUN:

Der zentralafrikanische Küstenstaat zählt nach UNHCR-Angaben insgesamt mehr als 1,6 Millionen Menschen, die weiter im Land auf der Flucht sind oder versuchen, in ihre Heimat zurückzukehren. Dazu kommen fast 500'000 Flüchtlinge aus den Nachbarländern. Im Kamerun schwelt seit sieben Jahren ein gewalttätiger Konflikt zwischen dem von französischsprachigen Eliten dominierten Zentralstaat und Separatisten in den englischsprachigen Regionen im Westen an der Grenze zu Nigeria. Dort grenzt das Land auch an den Tschadsee, wo ein durch Klimaveränderungen angeheizter Konflikt mit islamistischen Terrormilizen wie der nigerianischen Boko Haram herrscht.

ZENTRALAFRIKANISCHE REPUBLIK:

In dem Land mit mehr als fünf Millionen Einwohnern sind nach Angaben des UNHCR mehr als 500'000 Menschen auf der Flucht, während weitere 500'000 ehemalige Vertriebene Hilfe bei der Rückkehr benötigen. Rund 70'000 Flüchtlinge kamen aus benachbarten Ländern. Das trotz Diamanten und Gold verarmte Land kommt seit einer Rebellion 2013 nicht zur Ruhe, es kommt immer wieder zu Übergriffen durch bewaffnete Gruppen ebenso wie zu Verbrechen, die russischen Söldnern vorgeworfen werden. «Die chronische Vertreibung beeinträchtigte den sozialen Zusammenhalt in Gemeinschaften und behinderte die Möglichkeit des Wiederaufbaus des Landes», warnen die NRC-Autoren.

DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO:

Der Osten der Demokratischen Republik Kongo gilt als eine der gefährlichsten Regionen der Welt, seit einem Vierteljahrhundert begehen Dutzende bewaffnete Gruppen hier immer wieder Anschläge. Vielen von ihnen geht es um die Kontrolle strategisch wichtiger Bodenschätze wie Coltan, Kobalt, Gold und Diamanten. Zuletzt eskalierte der Konflikt, mehr als 1,6 Millionen Menschen mussten laut NRC in anderthalb Jahren in den Provinzen Nord-Kivu und Ituri fliehen. Nach UNHCR-Angaben waren im April 7,2 Millionen Menschen im Land als Vertriebene auf der Flucht sowie eine weitere Million im Ausland. Zusätzlich beherbergt das Land mehr als 500'000 Flüchtlinge aus anderen Staaten.

TSCHAD UND SUDAN:

Der Ausbruch eines Quasi-Kriegs zwischen der Armee und dem mächtigen Paramilitär im Sudan im April vergangenen Jahres stürzte das Land am östlichen Rand der Sahelzone in eine humanitäre Katastrophe. Die UN bezeichnen den Sudan mittlerweile als weltweit grösste Vertreibungskrise. Ein Jahr nach dem Ausbruch waren nach UNHCR-Angaben fast neun Millionen Menschen auf der Flucht, darunter 6,8 Millionen im Land und 1,9 Millionen Menschen, die ins benachbarte Ausland geflohen waren. Mehr als 600'000 von ihnen sind im benachbarten Tschad untergekommen, wo bereits zuvor Hunderttausende Sudanesen teils seit 2003 Zuflucht gesucht hatten. Der Tschad beherbergt zudem Flüchtlinge aus anderen Nachbarländern sowie rund 200'000 eigene Binnenvertriebene.

Kommentare

User #5184 (nicht angemeldet)

Die Manager der Hilfsorganisationen besitzen schöne Villen in bewachten Wohngebieten.

User #529 (nicht angemeldet)

Kinder zeugen sollte nur dürfen, wer bis zu deren Schulende, selbst für die Betreuung, Ernährung und Erziehung sorgen kann.

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