Ex-Geisel: Sie waren bereit, uns zu opfern
Mehrere Ex-Geiseln fordern einen Deal zur Freilassung der Verbliebenen. Liri Albag sagt, die Gegner des Abkommens seien bereit gewesen, sie zu opfern.

Das Wichtigste in Kürze
- Liri Albag spricht nach über 470 Tage in Hamas-Geiselhaft.
- Das Schlimmste sei gewesen, wie die Palästinenser sie angeschaut hätten.
- In einem offenen Brief fordern Dutzende Geiseln ein neues Abkommen.
Seit einer Woche ist die erste Phase der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen vorbei. Verhandlungen über eine zweite Phase und weitere Geiselfreilassungen verlaufen nur schleppend.
56 ehemalige Geiseln fordern nun Premierminister Benjamin Netanjahu auf, ein Abkommen durchzubringen. «Wir haben die Hölle erlebt», schreiben sie in ihrem offenen Brief. «Wir wissen, dass eine Rückkehr zum Krieg für die Zurückgebliebenen lebensgefährlich ist.»

Gegenüber «Channel 12» spricht auch Liri Albag erstmals seit ihrer Freilassung im Januar. Sie stand am 7. Oktober als Überwachungssoldatin im Einsatz und wurde mit drei Kameradinnen verschleppt. In der Gefangenschaft erfuhr die heute 20-Jährige über ein Radio von der Debatte über ein mögliches Geisel-Abkommen.
«Es war schwierig für uns, zu glauben, dass es Leute gibt, die bereit waren, uns zu opfern», so Albag. «Wieso? Was habe ich getan? Ist es meine Schuld, dass ich entführt wurde?»
Erst am 5. Oktober hatte Albag ihr Training beendet, sie kam zum Nahal Oz-Stützpunkt. Doch dort hatte sie keine Waffe, konnte sich nicht gegen die Terroristen verteidigen. 15 Soldaten wurden getötet, fünf verschleppt, eine der Geiseln wurde später getötet.
In den Augen der Angreifer habe sie «Boshaftigkeit und Hass» gesehen. Sie sei davon ausgegangen, auch ermordet zu werden. Stattdessen wurde sie in die «Hölle» gebracht, wie sie Gaza beschreibt.
Als das Auto mit den vier Geiseln dort ankam, hätten die Leute gejubelt, applaudiert und getanzt. «Sie waren glücklich. Kinder, Frauen, alte Menschen.» Aus ihrer Sicht gibt es im Gazastreifen keine «Unschuldige».
«Sie sehen uns als Terroristen und Mörder»
In Gefangenschaft sei sie von ihren Kameradinnen getrennt worden. Albag berichtet von physischem und psychischem Missbrauch. «Sie wollten uns in ihre Kultur zwingen, wo Frauen nicht lachen dürfen.» Teils durfte sie bloss zweimal am Tag auf die Toilette, Hygiene gab es praktisch keine.
Zu essen bekam sie hauptsächlich Pita-Brot, Reis und teilweise Pasta, immer wieder habe sie starken Hunger gehabt. «Ich habe zehn Kilo abgenommen.» In Gefangenschaft habe sie gemerkt, wann Hilfslieferungen in den Gazastreifen gekommen sind. Dann habe sie jeweils etwas mehr Essen erhalten.
Das Schlimmste aber seien die Interaktionen mit den Hamas-Leuten gewesen: «Sie schauten uns an, als seien wir eine Terrororganisation – so, wie wir sie anschauen. Sie sehen uns als Terroristen, Mörder, Diebe, Lügner.»
Liri Albag wurde bereits während der ersten Geiselfreilassungen 2023 gesagt, dass sie freikomme. Eines Morgens hörte sie dann aber eine Explosion und wusste, sie würde länger bleiben müssen. «Es zeigte uns, dass es keine Verhandlungen, keinen Deal gibt, dass wir nicht nach Hause gehen.» Sie sagt auch, sie habe gewusst, dass sie als Soldatin wohl zu den letzten Freigelassenen zählen werde.
Am 25. Januar 2025, 476 Tage nach ihrer Verschleppung, kamen Liri Albag und die drei weiteren Soldatinnen frei. Zuerst mussten sie in Gaza-Stadt aber noch an einer makabren Zeremonie teilnehmen und Abschiedsgeschenke annehmen.