Katastrophe im Gazastreifen verstärkt Rufe nach Feuerpause
Internationale Forderungen nach Waffenruhe und Aufklärung im Gazastreifen nach Tod von Palästinensern bei Hilfslieferungen.
Nach dem Tod vieler Palästinenser bei der Ankunft von Hilfslieferungen im Gazastreifen sind die Forderungen nach einer Waffenruhe international lauter geworden. Zugleich wurde Israel aufgefordert, die Umstände der tödlichen Katastrophe aufzuklären. Hilfsorganisationen wiesen ausserdem auf die katastrophale humanitäre Lage der rund 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen hin.
Mehrere arabische Länder warfen Israel vor, für die Toten verantwortlich zu sein. Israels Militär bestreitet das. Was der Vorfall für die zähen Verhandlungen über eine Feuerpause bedeutet, war zunächst nicht abzusehen. In israelischen Medien wurde die Befürchtung geäussert, der Vorfall könne die Verhandlungsposition der Hamas stärken und zum Wendepunkt in dem seit beinahe fünf Monaten andauernden Krieg werden.
Unterschiedliche Darstellungen der tödlichen Katastrophe
Was sich genau am Donnerstag bei der Ankunft eines Hilfskonvois abgespielt hatte, blieb auch am Tag danach unklar. Sicher ist nur, dass viele verzweifelte Menschen versucht hatten, sich mit Hilfsgütern zu versorgen. Mehr als hundert sollen nach Angaben der von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde dabei gestorben sein. Über 700 wurden demnach verletzt.
Die Gesamtzahl der getöteten Palästinenser wurde am Freitag mit 30'228 angegeben. 71'377 sollen verletzt worden sein. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Während es von palästinensischer Seite hiess, israelische Soldaten hätten gezielt in die Menge geschossen, machte das israelische Militär das Chaos und Gedränge für die Toten verantwortlich. Zwar seien Schüsse gefallen, aber dadurch habe es nur wenige Verletzte gegeben. Armeesprecher Peter Lerner sagte dem Fernsehsender CNN, nach ersten Erkenntnissen habe sich eine Gruppe von Menschen israelischen Soldaten genähert.
Das Militär habe daraufhin Warnschüsse in die Luft abgegeben. Die Gruppe habe sich den Soldaten jedoch weiter genähert und eine Bedrohung dargestellt, woraufhin die Soldaten das Feuer eröffnet hätten. Laut israelischen Medienberichten sollen sie auf die Beine gezielt haben.
WHO führt Vorfall auf Versorgungslage zurück
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt den Vorfall im Gazastreifen auf die katastrophale Versorgungslage in dem Palästinensergebiet zurück. Die Menschen in dem Küstenstreifen seien so verzweifelt auf der Suche nach Nahrungsmitteln, Wasser und anderen Vorräten, dass sie ihr Leben riskierten, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier am Freitag in Genf. «Das ist das echte Drama, das ist hier die echte Katastrophe», sagte er.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich über den Vorfall «zutiefst beunruhigt». Es müssten alle Anstrengungen unternommen werden, um die Geschehnisse zu untersuchen und für Transparenz zu sorgen, schrieb sie am Freitag auf X (vormals Twitter). «Die Bilder aus dem Gazastreifen beunruhigen mich zutiefst.»
Weitere 68 Millionen Euro als Soforthilfe
Humanitäre Hilfe sei eine Lebensader für die Bedürftigen, und der Zugang zu ihr müsse gewährleistet sein. «Wir stehen an der Seite der Zivilbevölkerung und drängen auf ihren Schutz im Einklang mit dem Völkerrecht», so von der Leyen. Er sei «schockiert und abgestossen von der gestrigen Tötung unschuldiger Zivilisten in Gaza, die verzweifelt auf humanitäre Hilfe warten.» Die Verantwortlichen sollten zur Rechenschaft gezogen werden, schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel ebenfalls auf X.
Die EU-Kommission will in diesem Jahr weitere 68 Millionen Euro als Soforthilfe für die Palästinenser zahlen. Das Geld solle an internationale Partner wie das Rote Kreuz und den Roten Halbmond gehen, teilte die Brüsseler Behörde am Freitag mit. Ausserdem sollen nächste Woche bereits geplante 50 Millionen Euro an das in die Kritik geratene UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA ausgezahlt werden.
16 Länder hatten zuletzt ihre Zahlungen an UNRWA eingefroren. Vorausgegangen waren israelische Vorwürfe, wonach einige Mitarbeiter der Organisation an den Massakern in Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen.
USA: Werden auf Antworten drängen
Die US-Regierung steht mit der israelischen Regierung wegen des Vorfalls in Kontakt und verlangt Antworten. Es sei das Verständnis der USA, dass eine Untersuchung im Gange sei, sagte der Sprecher des US-Aussenministeriums, Matthew Miller, am Donnerstag (Ortszeit). «Wir werden diese Untersuchung genau verfolgen und auf Antworten drängen», man habe keine gesicherten Erkenntnisse über die Geschehnisse, so Miller. Die «Tragödie» könne die Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln in der Gewalt der islamistischen Hamas komplizierter machen.
China verurteilte den Vorfall ebenfalls. China sei «schockiert» darüber und verurteile den Vorfall, sagte Aussenamtssprecherin Mao Ning am Freitag in Peking. Die Volksrepublik fordere alle Seiten und besonders Israel auf, sofort das Feuer einzustellen und den Krieg zu beenden. Die Sicherheit von Zivilisten müsse gewahrt und eine noch ernstere humanitäre Katastrophe vermieden werden, sagte die Sprecherin.
Heftige Kritik an Israel kam von mehreren arabischen Staaten. Es habe sich um ein «abscheuliches Massaker» gehandelt, das Israel verübt habe, hiess es in einer Mitteilung des katarischen Aussenministeriums vom Donnerstagabend. Die internationale Gemeinschaft müsse Israel dazu zwingen, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten und das palästinensische Volk vor Verstössen schützen, so die Regierung in Doha, die eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen über eine weitere Feuerpause zwischen Israel und der Hamas spielt.