Krise in Afghanistan: Hungernde Familien müssen Töchter verkaufen

Simon Binz
Simon Binz

Afghanistan,

In Afghanistan sind hungernde Familien gezwungen ihre Töchter zu verkaufen. Die US-Nachrichtenseite «CNN» berichtet von einer humanitären Krise sondergleichen.»

Das Wichtigste in Kürze

  • Wegen der humanitären Krise müssen mittellose afghanische Familien ihre Töchter verkaufen.
  • Die US-Nachrichtenseite «CNN» konnte mit betroffenen Mädchen über ihr Schicksal sprechen.
  • Die Szenen sind herzzerreissend – eine Zehnjährige drohte sogar sich umzubringen.

Die humanitäre Krise in Afghanistan hat ein neues trauriges Ausmass angenommen. Unzählige mittellose Familien sind gezwungen ihre Töchter als Kinderbräute zu verkaufen, um zu überleben. «CNN» hat von betroffenen Familien die Erlaubnis erhalten, über die tragischen Schicksale zu berichten.

Afghanistan Kinderbraut
Die kleine Parwana beim Verkauf an den 55-jährigen Qorban (Mitte). Das neunjährige Mädchen hat ihr Gesicht verdeckt und weint. - Screenshot/CNN

Die US-Nachrichtenseite beleuchtet unter anderem die Geschichte der neunjährigen Parwana Malik, die an den 55-jährigen Qorban verkauft wurde. In der Reportage ist etwa zu sehen, wie Vater Abdul den Käufer anflehte, seine Tochter nicht zu verletzen.

Der von Schuldgefühlen «gebrochene» Abdul war in Tränen ausgebrochen, als er zum angereisten Qorban sagte: «Das ist jetzt deine Braut. Bitte pass auf sie auf. Du bist jetzt verantwortlich, bitte schlag sie nicht.»

Parwana: «Er hat mich an einen alten Mann verkauft»

Parwanas Familie lebt seit vier Jahren in einem afghanischen Vertreibungslager in der nordwestlichen Provinz Badghis. Bisher überlebten sie dank internationaler humanitärer Hilfe und Arbeit, die ihnen etwa 2,5 Franken pro Tag einbrachte. Doch seit die Taliban im August das Zepter in dem Land übernommen haben, wurde die humanitäre Hilfe auf Eis gelegt.

Das Einfrieren der internationalen Gelder spüren Familien, wie die von Parwana enorm. Sie können sich seither Grundgüter, wie beispielsweise Lebensmittel, nicht mehr leisten. Kommt hinzu: Die Wirtschaft des Landes steht am Rande des Zusammenbruchs, die Zukunft Afghanistans ist ungewiss. Abdul musste vor Monaten bereits Parwanas 12-jährige Schwester verkaufen, um das Überleben seiner Familie zu sichern.

Afghanistan Kinderbraut
«Mein Vater hat mich verkauft, weil wir kein Brot, keinen Reis oder kein Mehl haben», sagt die neunjährige Parwana gegenüber «CNN». - Screenshot/CNN

Jetzt hätten sie auch keine andere Wahl mehr gehabt, als Parwana zu verkaufen, so die Familie. Das Mädchen, deren kleines Gesicht aus ihrem blassrosa Hijab herausschaut, sagte gegenüber «CNN»: «Mein Vater hat mich verkauft, weil wir kein Brot, keinen Reis oder kein Mehl haben. Er hat mich an einen alten Mann verkauft.»

Vater: «Musste sie verkaufen, um die anderen am Leben zu erhalten»

Vater Abdul zeigte sich wegen des Verkaufs seiner Tochter «gebrochen» und sagte, er könne nachts nicht mehr schlafen. «Ich habe erfolglos nach Arbeit gesucht und Geld von Verwandten geliehen. Meine Frau hat sogar andere Lagerbewohner um Essen gebeten – nichts hat funktioniert.» Er fügte an: «Wir sind acht Familienmitglieder, ich musste sie verkaufen, um die anderen am Leben zu erhalten.»

Afghanistan Kinderbraut
Abdul, der Vater von Parwana, sagt: «Wir sind acht Familienmitglieder. Ich musste sie verkaufen, um die anderen am Leben zu erhalten.» - Screenshot/CNN

Er sagte, dass er für Parwana 200'000 Afghani (2000 Franken) in Form von Bargeld, Schafen und Land erhält. Doch damit könne er seine Familie nur einige Monate ernähren. Dann müssten sie einen anderen Weg finden, um Geld für ihr Überleben zu sammeln.

Parwana hoffte, dass sie in der Lage sein würde, die Entscheidung ihrer Eltern rückgängig zu machen. Sie wollte ihre Ausbildung nicht einfach so hinter sich lassen, da sie Lehrerin werden wollte. Als Qorban letzte Woche mit der Zahlung ankam, war auch für sie klar, dass es keinen Ausweg mehr geben würde.

Käufer: «Sie war billig und ihr Vater sehr arm»

In der «CNN»-Reportage ist zu sehen, wie sich die Neunjährige vor ihrem neuen Ehemann «versteckte». Sie trug ein schwarzes Tuch vor dem Gesicht, sie weinte. Qorban stimmte der Bitte ihres Vaters zu und packte das Mädchen am Arm.

Er führte das kleine Kind zur Tür, worauf sich das Mädchen wehrte und ihre Füsse in den Boden grub. Doch ihre Bemühungen waren vergeblich, sie wurde schliesslich zum Auto geführt und zu ihrem neuen Zuhause gebracht.

Qorban versicherte der Familie, dass er Parwana wie sein eigenes Kind behandeln werde und sagte, er habe bereits eine Frau. «Sie war billig, und ihr Vater war sehr arm und brauchte Geld», sagte er gegenüber CNN. «Sie wird bei mir zu Hause arbeiten, ich werde sie nicht schlagen. Ich werde sie wie ein Familienmitglied behandeln, ich werde freundlich sein.»

Afghanistan Kinderbraut
Die neunjährige Parwana wehrt sich gegen den Verkauf an den 55-jährigen Qorban. Doch ihr Widerstand hilft nichts. - Screenshot/CNN

Abdul aber sagte, er habe keine Macht darüber, was jetzt mit seiner Tochter passiere. Er erinnerte sich daran, was ihm der alte Mann unter vier Augen sagte: «Ich bezahle für das Mädchen. Es geht dich nichts an, was ich mit ihr mache, das ist meine Sache.»

Abdul fügte hinzu: «Wir haben keine Zukunft, unsere Zukunft ist zerstört. Ich werde eine weitere Tochter verkaufen müssen, wenn sich meine finanzielle Situation nicht verbessert – wahrscheinlich die zweijährige.»

Zehnjährige: «Ich werde mich umbringen»

In dem Bericht von «CNN» werden weitere Kinder porträtiert, die sich demselben Schicksal ausgesetzt sehen. Etwa die zehnjährige Magul, die an den 70-jährigen Nachbar ihrer Familie verkauft werden soll. Sie sagte unter Tränen, «ich will ihn wirklich nicht heiraten» und fügte an: «Wenn sie mich dazu bringen, zu gehen, bringe ich mich um. Ich will meine Eltern nicht verlassen.»

Mit dem Verkauf von Magul will ihre Familie die Schulden bei dem Nachbar in der Höhe von 200'000 Afghani begleichen. Der Mann, der von «CNN» nicht genannt wird, hat Maguls Vater Ibrahim in ein von den Taliban geführtes Gefängnis gebracht. Er drohte ihm, ihn verhaften zu lassen, sollte er das Geld nicht zurückzahlen.

Magul Afghanistan Kinderbraut
Die zehnjährige Magul bricht in Tränen aus, als sie erfährt, dass sie an ihren 70-jährigen Nachbarn verkauft wurde. - Screenshot/CNN

Ibrahim, der versicherte, er würde das Geld innerhalb eines Monats zurückzahlen, läuft die Zeit davon. «Ich weiss nicht, was ich tun soll. Selbst wenn ich ihm meine Töchter nicht gebe, wird er sie nehmen», sagte Ibrahim. Gul Afroz, Maguls Mutter, sagte: «Ich bete zu Gott, dass diese schlechten Tage einmal vorbeigehen werden.»

Später zeigt «CNN» ein Bild des weinenden Mädchens, als sie mitbekommen hat, dass der Deal abgeschlossen wurde. Eine US-Journalistin ist im Hintergrund zu hören: «Ein weiteres afghanisches Kind, das in ein Leben voller Elend verkauft wurde.»

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