Nach Assad-Sturz: Wie geht es in Syrien nun weiter?
Islamistische Rebellen haben in Syrien die Macht übernommen, Herrscher Assad ist geflohen. Wie geht es nun mit dem Land und für die Bevölkerung weiter?
Das Wichtigste in Kürze
- In Syrien haben islamistische Rebellen die Macht übernommen.
- Der bisherige Machthaber Baschar al-Assad ist auf der Flucht.
- Nun seien im Land im Mittleren Osten mehrere Szenarien möglich, sagen Experten.
Am 27. November hat eine von der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) angeführte Rebellenallianz in Syrien eine Offensive gestartet. Am 7. Dezember erreichen sie schliesslich die Hauptstadt Damaskus, der syrische Präsident Baschar al-Assad ist geflohen!
Auf den Strassen Syriens feiern die Menschen den Sturz Assads. Videos zeigen, wie Statuen des geflohenen Despoten zerstört werden und die Bevölkerung den Präsidenten-Palast stürmt.
Doch wie geht es nun mit Syrien weiter, das von HTS unter der Leitung von Abu Mohammed al-Dschulani übernommen wurde?
Es seien jetzt unterschiedliche Szenarien möglich, sagt Fawaz Gerges gegenüber CNN.
Der Professor für internationale Beziehungen an der London School of Economics meint, ein sozialer, politischer, religiöser und ethnischer Aufruhr sei denkbar.
Andererseits gebe es in Syrien nach Jahrzehnten des Regimes auch eine Chance auf «Heilung».
Er habe Hoffnung, weil vor allem die islamistische Opposition bislang versucht habe, alle Gruppen im Land anzusprechen, und die Zerstörung von öffentlichen Einrichtungen bislang vermieden habe.
Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS)
Das Bündnis aus Aufständischen, das in grossen Gebieten samt der Hauptstadt Damaskus die Kontrolle übernahm, wird angeführt von der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS). Übersetzt heisst das in etwa «Organisation für die Befreiung (Gross-)Syriens».
Zuvor hatte sie Verbindungen zu den Terrororganisationen Islamischer Staat (IS) und Al-Kaida. Sie sagte sich später aber öffentlichkeitswirksam von diesen los. Anführer Abu Mohammed al-Dschulani tritt seit einigen Tagen mit seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa auf und schlägt eher diplomatische und versöhnliche Töne an.
HTS wurden zuvor aber auch Folter und Hinrichtungen vorgeworfen. Die EU und die USA stufen HTS als Terrororganisation ein.
Wird HTS die Macht in Syrien allein übernehmen?
Die HTS ist die mächtigste der Rebellengruppen, die sich zum gemeinsamen Kampf gegen Assad mit anderen Gruppen zusammengeschlossen hat.
Nach dem Sturz der Assad-Regierung könnte die Rivalität dieser Gruppen aber wieder stärker hervortreten und in einem Machtvakuum auch zu neuen Kämpfen führen.
Zudem gibt es im Norden weitere Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden, Kurdenmilizen im Nordosten sowie Zellen der Terrormiliz IS, die Anschläge verüben.
Es ist unklar, welche Gruppe oder möglicherweise ein neues Bündnis die Macht übernehmen könnte und auch welche Rolle die Soldaten und andere Sicherheitskräfte spielen, die bisher Assad die Treue hielten.
Welche Rolle spielen Russland, die Türkei und die USA?
Die Entwicklungen in Syrien werden seit Jahren nicht mehr in Damaskus angestossen, sondern neben Teheran auch in Moskau und Ankara. Russland hatte Assad im Bürgerkrieg mit Luftangriffen an der Macht gehalten, seine Truppenzahl im Land wegen des Ukraine-Kriegs aber verringert.
Bei Russland wie der Türkei, die Gebiete im Norden Syriens besetzt hält, ist unklar, inwieweit es künftig Absprachen geben könnte mit den neuen Machthabern im Land. Experten vermuten, dass die Türkei die Offensive zumindest billigte, um Druck auf Assad auszuüben.
Dieser hatte eine Normalisierung mit der benachbarten Türkei bisher abgelehnt – zum Unmut des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dieser möchte wegen der Spannungen im eigenen Land unter anderem Flüchtlinge nach Syrien zurückführen.
Erdogan hat zudem deutlich gemacht, dass er eine Ausweitung der Präsenz von kurdischen Milizen an der Grenze zur Türkei nicht dulden wird.
Die USA haben ihrerseits noch einige Hundert Soldaten in Syrien stationiert, zum Kampf gegen die Terrormiliz IS. Sie waren aber auch eine Art westlicher Keil tief im Einflussgebiet des Irans.
Nach dem Amtsantritt Trumps in Washington, der schon 2019 einen US-Truppenabzug aus Syrien angeordnet hatte, könnten sich die militärischen Kräfteverhältnisse dort erneut ändern. Trump stellte jetzt klar, er wolle nicht, dass sich die USA in irgendeiner Form in die Krise in Syrien einmischen, weil es nicht ihr Kampf sei.
Terrorismusexperte: «Neue Herrscher sind keine Demokraten»
Der anerkannte Terrorismusexperte Peter R. Neumann vom King's College in London hat eine Stellungnahme auf der Plattform X veröffentlicht.
Er warnt vor einem möglichen Wiederaufleben der «terroristischen Bedrohung». Laut Neumann könnte selbst der IS erneut an Einfluss gewinnen.
Sein Resümee: «Die Befreiung Syriens von Assad ist zwar grundsätzlich positiv.» Der Machthaber habe mehr Menschenleben gefordert «als der IS und alle übrigen 'Rebellen' zusammen». Gleichzeitig hebt er jedoch die «erhebliche Gefahr» hervor, da die neuen Herrscher keine Demokraten seien.