Verstösst Israels Pager-Angriff gegen Völkerrecht?
Experten sind sich uneinig darüber, ob Israels Pagerangriff völkerrechtskonform war. Es geht um Verhältnismässigkeit, Legitimität und Sprengfallen.
Das Wichtigste in Kürze
- War der Pagerangriff Israels völkerrechtswidrig? Experten sind sich uneinig.
- Einige fragen, ob auch nicht-kämpfende Hisbollah-Mitglieder legitime Ziele sind.
- Beachtet werden muss auch das Waffenübereinkommen, das den Sprengfallen-Einsatz regelt.
Tausende Pager und Funkgeräte von Hisbollah-Mitgliedern explodierten, 37 Menschen wurden getötet, 3000 verletzt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit steckt Israel hinter der Aktion. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, macht dem Land schwere Vorwürfe und rückt die Aktion in die Nähe eines Kriegsverbrechens. Er spricht die Auswirkungen auf Zivilisten und den verbotenen «Einsatz von Sprengfallen in scheinbar harmlosen tragbaren Gegenstände» an.
Experten sind sich aber nicht einig, ob die Explosion der Kommunikationsgeräte tatsächlich gegen Völkerrecht verstossen hat.
Terrorismus-Experte Hans-Jakob Schindler hält den Angriff für legitim. Denn Pager seien veraltete Kommunikationstechnologie, die von der Hisbollah genutzt werden, von Zivilisten aber kaum. «Das schränkt den Zielkreis deutlich ein und schliesst Zivilisten mehrheitlich aus», sagt er dem «Spiegel».
Die Wahrscheinlichkeit, dass Kombattanten getroffen wurden, schätzt er als sehr hoch ein. Zivilisten könnten auch zu Schaden gekommen sein, jedoch weniger. Er findet deshalb, die Verhältnismässigkeit sei gewahrt worden.
War der iranische Botschafter ein legitimes Ziel?
Auch Marco Sassòli, Völkerrechts-Professor an der Uni Genf, sagt gegenüber SRF, er glaube, dass nicht viele Zivilisten betroffen waren. Er betont aber, dass nur wer eine ständige Kampffunktion hat, angegriffen werden dürfe. Um die Aktion bewerten zu können, müsse man wisse, ob es sich bei den Opfern wirklich um Hisbollah-Kämpfer handelte. Und nicht um einfache Mitglieder der Organisation.
Er nennt den iranischen Botschafter, der ebenfalls betroffen war, als Beispiel: «Er ist nun sicherlich kein Kämpfer.» Sassòli bezweifelt also, dass er ein legitimes Ziel war.
Anders sieht es Daniel-Erasmus Khan, Völkerrechts-Professor an der Universität der deutschen Bundeswehr: Dass der Botschafter einen Pager hatte, sei ein Indiz dafür, dass er in die Kommandokette der Hisbollah eingebunden gewesen sei. «Also war er ein legitimes Ziel», sagt er dem Spiegel. Aus seiner Sicht reicht es, organisatorisch in die militärische Struktur eingebunden zu sein, um ein legitimes Ziel darzustellen.
«Israel hätte die Pager nicht sprengen dürfen.»
Die bisher bekannten Zahlen sprächen dafür, dass die zivilen Opfer nicht unverhältnismässig gewesen seien. Khan sagt: «Vieles spricht dafür, dass Israel insoweit im Rahmen des humanitären Völkerrechts gehandelt hat.»
Kritischer sieht er den zweiten Punkt, den UN-Menschenrechtschef Türk angesprochen hat: Im Waffenübereinkommen würden «behelfsmässige Sprengvorrichtungen, die dazu bestimmt sind, zu töten» streng reglementiert. So dürften Sprengfallen nicht in scheinbar harmlosen, tragbaren Gegenständen, die eigens dafür gebaut wurden, eingebaut werden. Nun sei unklar, ob Israel die Pager «eigens dafür gebaut» habe, oder handelsübliche manipuliert habe.
Im SRF fragt Völkerrechts-Professor Sassòli, ob Pager tatsächlich ein harmloser Gebrauchsgegenstand seien. Laut Khan ist diese Frage nicht so wichtig: Es sei eh verboten, solche Waffen in einer Stadt oder einem Gebiet, in dem Zivilpersonen konzentriert sind, einzusetzen.
Khan kommt zum Schluss, dass Israel womöglich gegen humanitäres Völkerrecht verstossen habe, ein Kriegsverbrechen liege aber nicht vor. Er sagt: «Israel hätte die Pager nicht sprengen dürfen.»