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Chinas Führung alarmiert: Junge Chinesen wollen «flachliegen»

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Immer mehr junge Chinesen wollen eigenen Interessen nachgehen. Das ist der Chinesischen Regierung ein Dorn im Auge.

ARCHIV - Ein Mann schläft in einer Hängematte neben Fahrrädern einer Fahrrad-Verleihfirma. Viele junge Chinesen haben das Gefühl, alles hinschmeissen zu wollen. Foto: Ng Han Guan/AP/dpa
ARCHIV - Ein Mann schläft in einer Hängematte neben Fahrrädern einer Fahrrad-Verleihfirma. Viele junge Chinesen haben das Gefühl, alles hinschmeissen zu wollen. Foto: Ng Han Guan/AP/dpa - sda - Keystone/AP/Ng Han Guan

Das Wichtigste in Kürze

  • Immer mehr junge Chinesen wollen Aussteigen.
  • Die Behörden streichen die Wortschöpfung dazu konsequent.

Viele junge Chinesen haben das Gefühl, alles hinschmeissen zu wollen. «Tangping», wörtlich übersetzt «Flachliegen», ist das neue Codewort für Aussteigen oder Nichtstun – sich schlicht der Leistungs- oder Konsumgesellschaft zu verweigern.

Sie wollen sich nicht kaputt arbeiten und ausbeuten lassen, wollen eigenen Interessen nachgehen oder einfach «buddha-ähnlich» zur Ruhe kommen.

Die Strömung ist der Kommunistischen Partei ein Dorn im Auge, da sie sich harte Arbeit, Innovation und Konsum auf ihre roten Fahnen geschrieben hat. Gnadenlos streicht die Zensur seit Wochen die Wortschöpfung «Tangping» und jede Diskussion darüber in sozialen Medien.

Aussteiger als Auslöser

Ein Blogpost eines Aussteigers namens Luo Huazhong startete die Strömung unabsichtlich. Er hatte seinen Fabrikjob gekündigt, war mit dem Fahrrad von Sichuan nach Tibet gefahren, hatte sich bescheiden und mit wenig Geld von Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Unter dem Nutzernamen «Gutherziger Reisender» schrieb er im April über seinen Lebensstil: «Flachliegen ist Gerechtigkeit. Es bedeutet: Die Initiative ergreifen, Buddha wählen und nicht um Ruhm und Profit kämpfen.» Er pflege einen Lebensstil mit wenig Bedürfnissen.

«Ich kann einfach wie Diogenes in seiner Tonne in der Sonne schlafen», schrieb er in seinem Blogpost, der einen Nerv der jungen Generation traf und viral ging. «Flachliegen» sei weise, schrieb Luo Huazhong, der nach eigenen Angaben als Komparse in einem Film auch einmal eine am Boden liegende Leiche gespielt hat. Nach dem Wirbel darf Luo Huazhong seine Lebensphilosophie aber nicht weiter erläutern. «Ich wurde aufgefordert, keine Interviews mehr zu geben.»

Sein Lebensgeist zieht jedoch weiter über das Land, so dass die Partei nicht mehr nur mit Zensur, sondern auch mit Propaganda gegensteuert. «Angesichts von Druck lieber ‹Flachliegen› zu wählen, ist nicht nur unberechtigt, sondern auch schändlich», wetterte ein Parteiblatt. Diskussionsgruppen zu «Flachliegen» wurden aufgelöst. Selbst modische T-Shirts mit dem Aufdruck «Flachliegen» mussten aus Online-Shops genommen werden. Im Fernsehen heisst es: «Missgeschicke zu akzeptieren, ist in Ordnung, aber ‹Flachliegen› nicht.» Warnende Stimmen sehen schon die Zukunft des Landes in Gefahr.

Gewaltlose, nicht kooperative Bewegung

«Flachliegen bezieht sich auf die Tatsache, dass junge Leute keine Wohnungen und Autos kaufen wollen, nicht heiraten und keine Babys haben wollen, nicht konsumieren und vielmehr einen Minimum-Standard des Überlebens aufrechterhalten wollen - und es ablehnen, die Geldmachmaschine eines anderen zu sein», fasste ein chinesischer Journalist zusammen. Er sieht eine «gewaltlose, nicht kooperative Bewegung»: «Schweigende Hilflosigkeit.»

Auch Hoffnungslosigkeit, glaubt der Sozialwissenschaftler Yi Fuxian. «Es ist das Phänomen einer alternden Gesellschaft», sagt der Familienforscher der Universität von Wisconsin. Früher sei China voller Vitalität gewesen. In den 90er Jahren seien 31 Prozent der Bevölkerung jung gewesen, heute nur noch 17 Prozent. Es habe das Phänomen schon im noch schneller überalterten Japan beobachtet: «Die soziale und wirtschaftliche Struktur ist durch die alternde Gesellschaft verplant.» Jobs seien von Älteren besetzt.

«Junge Leute haben keine Hoffnung, keinen Willen zu kämpfen», sagt Yi Fuxian. Auch hätten sie wenig Mitsprache. Es fehle ihnen an Unternehmenslust. «Sie haben überhaupt keine Möglichkeit, den Status quo zu ändern - und müssen deswegen flachliegen», sagt Yi Fuxian. Am Ende nehme die wirtschaftliche Lebenskraft der gesamten Gesellschaft ab. «Deswegen ist die Regierung besorgt.»

Es ist aber auch ein Phänomen einer extremen Arbeitswelt in China, die eine «996-Kultur» idealisiert: Von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends arbeiten - sechs Tage die Woche. Überarbeitung, hohe Mieten und der Stress der Ausbildung der Kinder, die büffelnd durch teure Schulen gebracht müssen. Alles Gründe, warum China trotz des Endes der Ein- und zuletzt Zwei-Kind-Politik einen rapiden Geburtenrückgang erlebt und die Überalterung nur noch schneller voranschreitet.

Aber wie viele entscheiden sich wirklich für das «Flachliegen»? Vielleicht ist es auch eher resignatives Lebensgefühl. «Ich denke, es ist mehr eine Art Witz oder Klage über die Unfähigkeit, die Arbeit und das Leben zu ändern», glaubt eine 22-jährige Angestellte. «Es ist nur ein Traum.» Alle ihre Freunde sprächen über das Phänomen. «Aber in Wirklichkeit ist Flachliegen schwierig, weil jeder arbeiten muss, um seine Rechnungen und Miete zu bezahlen.»

Aber, kein Zweifel, es formt sich Widerstand. Wer in dem Teufelskreis von Arbeit und Konsum steckt, wird in der Diskussion auch gerne als «Lauch» beschrieben, das ständig neu abgeerntet werden kann. «Die Aufrufe zum »Flachliegen« beunruhigen Chinas Führung doppelt, weil sie drohen, dem Land den Ehrgeiz zur Innovation zu nehmen und das zweite Standbein der langfristigen Entwicklungsstrategie umzuhauen: Den Antrieb zum Konsum», schreibt der China-Experte David Bandurski vom China Media Project für die US-Denkfabrik Brookings.

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