Supreme Court prüft Schutz von Internetriesen vor Klagen wegen Nutzerinhalten
Der Oberste Gerichtshof der USA hat sich in einem äusserst wichtigen Fall mit dem Schutz grosser Online-Plattformen vor Klagen wegen von Nutzern veröffentlichten Inhalten befasst.
Das Wichtigste in Kürze
- Fall hat grosse Bedeutung für Zukunft des Internets.
Bei der Anhörung vor dem Supreme Court in Washington ging es am Dienstag um eine Gesetzesklausel aus dem Jahr 1996, die Internetkonzernen eine weitgehende Immunität bei Nutzerposts verschafft – und um die islamistischen Anschläge in Paris vom November 2015 mit 130 Toten.
Der Fall geht auf eine Klage der Familie der US-Studentin Nohemi Gonzalez zurück, die bei der Anschlagsserie in der französischen Hauptstadt getötet worden war. Die Familie wirft der zu Google gehörenden Videoplattform Youtube vor, Nutzern Videos der hinter den Anschlägen stehenden Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) empfohlen und damit zur Radikalisierung von Islamisten beigetragen zu haben. Google habe dem IS geholfen, «seine Botschaft zu verbreiten», und die Miliz damit unterstützt.
Die Klage wurde von US-Bundesgerichten aber unter Verweis auf eine als «Section 230» bekannte Gesetzesklausel zurückgewiesen. In der Klausel aus dem Jahr 1996 wird festgehalten, dass Internetunternehmen nicht als Herausgeber angesehen werden und deswegen nicht für auf ihren Plattformen veröffentlichte Nutzerinhalte zur Rechenschaft gezogen werden können.
Die Familie Gonzalez argumentiert aber, die IS-Inhalte seien nicht nur auf Youtube veröffentlicht, sondern Nutzern aufgrund von Algorithmen auch empfohlen worden. Dies sei durch «Section 230» nicht abgedeckt. «Die Auswahl der Nutzer, denen IS-Videos empfohlen wurden, wurde durch von Youtube erschaffene und eingesetzte Computeralgorithmen bestimmt», heisst es in der Klage.
Dass der Supreme Court den Fall zur Überprüfung angenommen hat, könnte darauf hindeuten, dass die Verfassungsrichter diesem Argument ein gewisses Gewicht einräumen. Das Urteil wird voraussichtlich erst in einigen Monaten fallen, das Sitzungsjahr des Gerichtshofs läuft bis Ende Juni. Sollte die Familie Gonzalez Recht bekommen, hätte dies weitreichende Konsequenzen für Onlineriesen wie Google und Facebook und das Internet insgesamt.
Google rief den Supreme Court in einem Gerichtsdokument auf, nicht einen «zentralen Baustein des modernen Internets» zu untergraben. «Empfehlungsalgorithmen machen es möglich, die Nadeln im grössten Heuhaufen der Menschheit zu finden.» Der Facebook-Mutterkonzern Meta erklärte, sollten Klagen gegen Internetkonzerne aufgrund von Algorithmen erlaubt werden, dann würden den Unternehmen «buchstäblich die ganze Zeit» juristische Konsequenzen wegen Inhalten Dritter drohen.
«Section 230» steht schon seit längerer Zeit in der Kritik – unter anderem wegen des wachsenden Misstrauens gegenüber Internetkonzernen und ihrer grossen Macht in den USA. Demokraten wie Republikaner haben sich für eine Reform der Klausel ausgesprochen, die entstand, als Google noch nicht existierte und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg elf Jahre alt war.
Allerdings erscheinen konkrete Gesetzesreformen angesichts der parteipolitischen Spannungen in Washington derzeit eher unwahrscheinlich. Umso wichtiger könnte eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs des Landes werden.