Anschlag von Wien: Gab «Klare Hinweise auf Gefahr»
Versuchter Munitionskauf, radikale Einstellungen: Nach dem Blutbad eines jungen IS-Anhängers in Wien häufen sich Fragen, ob es Pannen bei den Sicherheitsbehörden gab. Kontakte hatte der Täter wohl weit über Wien hinaus.
Das Wichtigste in Kürze
- Der 20-jährige Attentäter von Wien war nach Überzeugung der Ermittler Teil eines radikal-islamistischen Netzwerks, das über Österreich hinausreicht.
Neben zwei Festnahmen in der Schweiz liefen noch weitere Massnahmen in einem anderen Land, sagte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Donnerstag in Wien, ohne Einzelheiten zu nennen. «Der Kampf gegen die mutmasslichen Mittäter, Mitunterstützer, das Netzwerk des Terroristen ist bei weitem noch nicht abgeschlossen und wird mit aller Härte geführt», sagte er. Unter den bisher 15 Festgenommenen seien mehrere einschlägig vorbestrafte Verdächtige.
Drei Tage nach dem Anschlag mit vier Toten und mehr als 20 Verletzten debattierte das Parlament in einer Sondersitzung über Versäumnisse der Fahnder. Die Opposition warf vor allem der konservativen ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz das Abschieben von Verantwortung vor. «Vier Menschen sind tot, obwohl die Behörde klare Hinweise hatte, dass von dem Terroristen Gefahr ausgeht», sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Die slowakische Polizei hatte die Kollegen in Wien gewarnt, dass der IS-Sympathisant sich im Juli Munition für ein Sturmgewehr vom Typ Kalaschnikow in Bratislava besorgen wollte.
Kanzler Sebastian Kurz sah erneut eine Mitverantwortung bei der Justiz. «Es ist für die wenigsten Menschen verständlich, dass jemand, der sich dem IS in Syrien anschliessen wollte, vorzeitig aus der Haft entlassen wird und weitgehend unbehelligt unter uns leben kann, nur weil er fälschlicherweise vorgibt, sich dem Terror abgewandt zu haben», sagte er.
«Er wurde unter strengen Auflagen für eine Zeit von drei Jahren unter Probe gestellt», betonte dagegen Justizministerin Alma Zadič vom grünen Koalitionspartner. Der 20-Jährige war im Dezember 2019 auf Bewährung entlassen worden. Nur dadurch sei eine verpflichtende Betreuung durch das Deradikalisierungsprogramm Derad möglich gewesen, so das Justizministerium. Die Justizanstalt informiere vor einer solchen Entlassung die Verfassungsschutzbehörden.
Entwarnung über die extreme Einstellung des Täters habe es bei seinem Bewährungsbetreuer nie gegeben, sagte Derad-Mitbegründer Moussa Al-Hassan Diaw der Deutschen Presse-Agentur in Wien. «Es gab keine Täuschung, weil unser Mitarbeiter zu keinem Zeitpunkt gesagt hat, dass der Mann deradikalisiert ist.» Das Netzwerk Derad übernimmt seit 2016 für das Justizministerium die Betreuung von Gefängnisinsassen, bei denen das Risiko einer Radikalisierung besteht.
Diaw sagte der dpa, dass der 20-Jährige sich laut seinem Betreuer verändert und Zweifel entwickelt habe, ob er selbst gläubig genug sei. Manche Betroffenen beteten dann intensiver, während andere zu Taten schritten oder aus dem Leben scheiden wollten. Der Betreuer habe das in einem seiner letzten Berichte an die Justizbehörden vor der Tat festgehalten. «Diese Sachen sind ihm aufgefallen. Was keinem aufgefallen ist, ist, dass er plant, in den nächsten Tagen vor Beginn des Lockdowns eine Bluttat zu begehen.»
Im Fall des versuchten Munitionskaufs hat die österreichische Polizei laut einem internen Dokument des slowakischen Innenministeriums am 10. September reagiert. Demzufolge wurde der Kaufinteressent als «wahrscheinlich» der spätere Attentäter mitsamt seiner Vorstrafe identifiziert. Das Auto, mit dem er und ein Beifahrer unterwegs waren, ordneten die Behörden der Mutter eines für seine «positive Einstellung zum Dschihad und zum Islamischen Staat» bekannten 21-Jährigen zu.
Der versuchte Munitionskauf des 20-Jährigen hätte im Regelfall zumindest zu einer Prüfung seiner Bewährung durch die Staatsanwaltschaft führen sollen, teilte das Justizministerium auf Anfrage mit. Wiens Polizeichef Gerhard Pürstl sagte am Donnerstag, die Behörden seien dabei gewesen, die slowakischen Hinweise auf die Identität des Kaufinteressenten näher zu überprüfen. «Wir glauben, hier gute Arbeit geleistet zu haben», sagte er.
Die offenen Fragen soll eine «unabhängige Untersuchungskommission» der Justizministerin und des Innenministers beleuchten. «Es ist die Kommission, die Klarheit schaffen soll und es ist noch nicht die Zeit, abschliessende Befunde zu erstellen, welche Fehler wo gemacht wurden», sagte Nehammer. Er versprach, alle Schritte transparent und öffentlich darzustellen.
Von einer Reform des Verfassungsschutzes ist bereits jetzt die Rede. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung habe in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen massiven Schaden erlitten. Diesen Schaden gelte es zu reparieren, sagte Kurz. Das 2002 gegründete BVT analysiert unter anderem Bedrohungen etwa durch radikalen Islamismus und Rechtsextremismus. Spätestens seit 2018, als der FPÖ-Politiker Herbert Kickl Innenminister war, ist das BVT ins Zwielicht geraten. Ausländische Geheimdienste gingen auf Distanz.
Die Behörden präsentierten am Donnerstag weitere Details zum Ablauf des Einsatzes. Demnach wurde nach dem Notruf um 20.00 Uhr der Täter bereits drei Minuten später von einem Streifenpolizisten unter Feuer genommen. Nach der Tötung des 20-Jährigen um 20.09 Uhr durch Spezialkräfte habe erst ein Roboter die Leiche des Mannes untersucht, weil er einen Sprengstoffgürtel zu tragen schien, sagte der Chef der obersten Polizeibehörde, Franz Ruf. Medienberichte, dass gegen den Täter und den Kreis der Festgenommenen eine Razzia geplant gewesen sein soll, dementierten die Behörden.