Bei den Streiks bei der Deutschen Bahn geht es auch um einen Machtkampf zweier Gewerkschaften. Dabei wollte der Bund solche Situationen mit dem Tarifeinheitsgesetz eigentlich verhindern.
Bahnkunden sind genervt, weil die GDL mit ihren Streiks tagelang den Zugverkehr lahmlegt. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa
Bahnkunden sind genervt, weil die GDL mit ihren Streiks tagelang den Zugverkehr lahmlegt. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Stimmung bei der Deutschen Bahn könnte derzeit besser sein: Kundinnen und Kunden schimpfen, weil die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit ihren Streiks tagelang den Zugverkehr lahmlegt.
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Und in der Belegschaft gilt das Arbeitsklima als vergiftet. Schliesslich ringt neben der GDL auch die grössere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) um Einfluss bei den Beschäftigten. Von gegenseitigen Beschimpfungen ist die Rede. Schichten würden nicht mehr vernünftig übergeben und in den Pausenräumen herrsche oft eisiges Schweigen.

Nicht wenige machen für diese Situation ein Gesetz verantwortlich, das konkurrierende Gewerkschaften in einem Betrieb eigentlich zu einer engeren Abstimmung und Zusammenarbeit motivieren sollte. Doch zumindest bei der Bahn ist das Tarifeinheitsgesetz (TEG) bei diesem Ziel für viele gescheitert.

Regel «Ein Betrieb - ein Tarifvertrag»

Das Gesetz wurde im Juli 2015 kurz nach den damaligen Bahn-Streiks der GDL erlassen. Es schreibt vor, dass in einem Unternehmen mit konkurrierenden Gewerkschaften fortan nur noch der Tarifvertrag der grösseren Arbeitnehmervertretung angewendet werden darf. So sollte die alte Regel wieder hergestellt werden: «Ein Betrieb - ein Tarifvertrag». Die Macht kleiner Spartengewerkschaften sollte eingedämmt werden.

«Abgesehen von den grundsätzlichen Kritikern gab es bei Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes in den Gewerkschaften zwei Lager», sagt Florian Rödl, Arbeitsrechtler an der Freien Universität Berlin. «Die einen sagten: Das Gesetz wird die Gewerkschaften zwingen, Tarifgemeinschaften zu bilden.» Andere hätten hingegen gewarnt, das Gesetz könne nach hinten losgehen.

Erstere erhofften sich demnach durch das Gesetz eine engere Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften, denn das TEG sah eine solche ausdrücklich vor: «Zweck der angegriffenen Regelungen ist es, Anreize für ein koordiniertes und kooperatives Vorgehen der Arbeitnehmerseite in Tarifverhandlungen zu setzen und so Tarifkollisionen zu vermeiden», gab im Jahr 2017 das Bundesverfassungsgericht die Gesetzesbegründung der Bundesregierung wieder. «Der Gesetzgeber verfolgt damit ein legitimes Ziel», urteilten die Richterinnen und Richter seinerzeit.

Piloten haben ähnliche Streikmacht wie Lokführer

Und tatsächlich scheint dieses Ziel in manchen Fällen auch aufgegangen zu sein. Bei der Lufthansa etwa haben Piloten oder Flugbegleiter eine ähnliche Streikmacht wie die Lokführer, wie die Airline in den vergangenen Jahren mehrfach schmerzhaft erfahren musste. Mit der Vereinigung Cockpit (VC), Verdi und der Unabhängigen Flugbegleiter-Organisation (Ufo) konkurrieren gleich drei Gewerkschaften um die Vertretung der Arbeitnehmer, gehen sich aber bei den Berufsgruppen bislang meist aus dem Weg.

Allein bei den Flugbegleitern konkurrieren Verdi und Ufo, besonders scharf bei der Direktflugtochter Eurowings. Nach einem Verdi-Abschluss, Ufo-Streiks, gescheiterten Dreier-Gesprächen und einer Schlichtung in den Jahren 2016/2017 wurden aber letztlich doch noch inhaltsgleiche Tarifverträge mit beiden Gewerkschaften erreicht.

Die im Tarifeinheitsgesetz vorgesehene Auszählung der jeweiligen Mitglieder konkurrierender Gewerkschaften ist in den Betrieben des Lufthansa-Konzerns bislang noch nie angewendet worden, wie das Unternehmen in Frankfurt bestätigte.

Grundlagentarifvertrag lief aus

Zunächst gab es auch bei der Bahn eine Lösung, um das Tarifeinheitsgesetz zu umgehen: Konzern und GDL einigten sich auf einen Grundlagentarifvertrag, der sicherstellte, dass trotz ihrer Position als kleinere Gewerkschaft auch die Tarifverträge der GDL angewendet werden. Fünf Jahre lang galt dieser Vertrag, das TEG wurde in dieser Zeit bei der Bahn nicht angewendet. Doch Ende des vergangenen Jahres lief die Vereinbarung aus. Eine Anschlussregelung ist nicht in Sicht.

Und so zeichnet sich derzeit eine Situation ab, vor der laut Arbeitsrechtler Rödl das andere Lager beim TEG stets gewarnt hatte: «Gerade in Betrieben, in denen es keine offensichtliche Mehrheitsverhältnisse gibt, könnten Arbeitskämpfe selber zum Terrain von Mitgliederwerbung werden», erläutert der Professor. «Gewerkschaften könnten versucht sein, durch Arbeitskämpfe die Mehrheitsverhältnisse zu ändern.»

Genau das versucht derzeit die GDL. Sie will den laufenden Tarifkonflikt bei der Bahn nutzen, um ihren Einflussbereich auszuweiten: Die Gewerkschaft will nicht nur wie bisher die Lokführerinnen und Lokführer vertreten, sondern auch Beschäftigte in der Fahrzeuginstandhaltung, der Fahrweginstandhaltung, in den Netzbetrieben und auch in der allgemeinen Verwaltung. Auch deshalb streikt die GDL, obwohl beide Seiten bei den reinen finanziellen Fragen gar nicht so weit auseinander liegen.

Eine Sache habe der Gesetzgeber mit dem Tarifeinheitsgesetz schliesslich definitiv nicht erreichen wollen, betont Rödl: «Nach wie vor wird in vielen Interviews behauptet, der allererste Zweck des Gesetzes sei es gewesen, Arbeitskämpfe zu verhindern. Das stimmt überhaupt nicht.» Wäre es dem Gesetzgeber tatsächlich vor allem darum gegangen, Streiks zu verhindern, hätte das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht möglicherweise gar keinen Bestand gehabt, sagt Rödl.

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