Der Brexit und Antisemitismus. Zwei heikle Themen werden den Labour-Parteitag dominieren. Es ist ebenfalls mit Euphorie für Labour-Chef Corbyn zu rechnen.
Jeremy Corbyn, Vorsitzender der Labour Partei, nimmt am Labour Parteitag in Liverpool (UK) teil.
Jeremy Corbyn, Vorsitzender der Labour Partei, nimmt am Labour Parteitag in Liverpool (UK) teil. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Am Sonntag beginnt in Liverpool der viertägige Parteitag der britischen Labour-Partei.
  • Die brennenden Themen für die Sozialdemokraten sind der Brexit und der Antisemitismus.
Ad

«Oh, Je-re-my Cor-byn!»: Der Schlachtruf der Anhänger des Labour-Chefs dürfte auch beim diesjährigen Parteitag der britischen Arbeiter-Partei wieder zu hören sein. Der Altlinke Jeremy Corbyn dominiert die Partei seit er mithilfe einer Graswurzel-Bewegung vor drei Jahren die Parteiführung übernommen hat.

Doch auch die Kritiker des 69-Jährigen werden sich wohl bei der viertägigen Konferenz, die am Sonntag in Liverpool (UK) beginnt, Gehör verschaffen. Zwei Themen verfolgen ihn hartnäckig: Brexit und Antisemitismusvorwürfe. Corbyn gilt als EU-Skeptiker und glühender Verfechter der palästinensischen Sache. Das macht ihn angreifbar.

Der europafreundliche Flügel bei Labour will den Parteitag dazu nutzen, um die Forderung nach einem zweiten Brexit-Referendum zur offiziellen Parteilinie zu machen. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im britischen Parlament wäre ein zweites Referendum dann in Reichweite.

Zweifelhafte Erfolgsaussichten

Ob das gelingt, ist aber zweifelhaft. Corbyn selbst macht immer wieder deutlich, dass es für ihn weitaus wichtigere Themen gibt als die Trennung von der Europäischen Union. Renten, sozialer Wohnungsbau und die Verstaatlichung der Bahn zum Beispiel.

Trotzdem gilt inzwischen fast als sicher, dass es beim Parteitag eine Debatte über den Brexit gibt und wohl auch eine Resolution verabschiedet wird. Mehr als 100 lokale Parteiverbände sollen sich dafür stark gemacht haben.

Doch der britische Politikwissenschaftler Simon Usherwood von der Universität Surrey hält es für unwahrscheinlich, dass sich die Labour-Delegierten eindeutig für ein zweites Brexit-Referendum aussprechen werden.

«Die Parteiführung um Jeremy Corbyn hat das nicht als zentrales Projekt der Partei erkannt», sagt Usherwood. Solange das so bleibe, gäbe es wenig Chancen, dass ein zweites Brexit-Referendum offizielle Parteilinie werde.

Prominente Befürworter

Die Befürworter einer zweiten Volksabstimmung haben die Unterstützung populärer Labour-Politiker wie Londons Bürgermeister Sadiq Khan und Ex-Premierminister wie Tony Blair und Gordon Brown. Mehrere grosse Gewerkschaften halten sich zumindest die Option einer neuen Volksabstimmung ausdrücklich offen. Khan fordert gar ein Referendum mit der Möglichkeit, ganz in der EU zu bleiben.

In der Bevölkerung gibt es dem Politikwissenschaftler John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow zufolge zwar einen leichten Trend zu einem Ja für eine Abstimmung über das finale Brexit-Abkommen, aber noch keine klare Mehrheit dafür.

Für den Führungszirkel um Jeremy Corbyn geht es in erster Linie darum, die Regierung von Theresa May abzulösen – das Thema EU-Austritt scheint dagegen nachrangig. Realität werden könnte das beispielsweise, wenn May die Abstimmung über das Brexit-Abkommen im Parlament mit einer Vertrauensfrage verknüpft und verliert.

Doch zunächst einmal muss überhaupt ein Abkommen zwischen London und Brüssel vereinbart werden. Bislang stocken die Verhandlungen. Vor allem die Frage, wie künftig Kontrollen an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland verhindert werden sollen, ist umstritten.

Brodelnde Antisemitismus-Vorwürfe

Labour-Chef Jeremy Corbyn hat indes noch ganz andere Sorgen: Seit mehr als zwei Jahren verfolgen ihn und seine Partei Antisemitismusvorwürfe.

Es geht vor allem um die aus Sicht seiner Kritiker einseitige Unterstützung der palästinensischen Seite im Nahostkonflikt, die Corbyn und seinen Getreuen den Vorwurf des Judenhasses eingebracht hat. Seine Anhänger dagegen sprechen von einer Hexenjagd, die gegen den Parteichef gerichtet sei.

Richtig Fahrt aufgenommen hatte die Affäre 2016, als Londons ehemaliger Bürgermeister und Weggefährte Corbyns Ken Livingstone in einem Fernsehinterview behauptete, Adolf Hitler habe den Zionismus selbst einmal unterstützt. Erst dann sei er «verrückt geworden» und habe sechs Millionen Juden ermordet.

Wie antisemitische Mitglieder loswerden?

Für die Aussage wurde Livingstone zunächst von seiner Parteimitgliedschaft suspendiert. Später trat er freiwillig aus der Partei aus.

Immer wieder kocht die Sache hoch. Beispielsweise wenn Fotos in der Presse auftauchen, die Corbyn bei einer Kranzniederlegung im PLO-Hauptquartier in Tunis zeigen. Die konservative Boulevardzeitung «Daily Mail» wirft Corbyn vor, damit einen der Drahtzieher des Anschlags auf das israelische Olympia-Team in München 1972 geehrt zu haben.

In Wirklichkeit, so sagt Corbyn, habe er an die Opfer eines Luftschlags der israelischen Armee im Jahr 1985 gedacht, bei dem Dutzende Zivilisten getötet wurden.

Zu zögerlich reagiert

Es dauerte lange, bis Corbyn das Ausmass des Imageschadens für seine Partei erkannte. Im August dieses Jahres wandte er sich mit einem Video an die Öffentlichkeit, in dem er anerkannte, dass Labour ein Problem mit Antisemitismus hat.

Disziplinarverfahren gegen antisemitische Parteimitglieder seien zu langsam und zu zaghaft betrieben worden. «Es ist meine Verantwortung, dem Antisemitismus in der Labour-Partei ein Ende zu bereiten», sagt Corbyn in die Kamera.

Nach langem Hin und Her war der Parteivorstand im September bereit, eine international anerkannte Definition für Antisemitismus zu übernehmen – jedoch mit dem Zusatz, weiter Israels Politik kritisieren zu dürfen. Der Streit dürfte noch lange nicht beendet sein.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Adolf HitlerBrexitTheresa MayNahostkonflikt