Coronavirus: Experten erklären Indiens rasanten Fallanstieg
Indiens Gesundheitssystem steht angesichts der hohen Fallzahlen mit dem Coronavirus vor dem Kollaps. Virologie Christian Drosten nimmt die Mutation gelassen.
Das Wichtigste in Kürze
- Christian Drosten zeigt sich ab der indischen Corona-Variante B.1.167 gelassen.
- Die Corona-Lage in Indien hänge laut dem Virologen mit mehreren Effekten zusammen.
- ETH-Forscherin Tanja Stadler befürchtet, die Variante könnte die Immunantwort abschwächen.
Der deutsche Virologe Christian Drosten zeigt sich angesichts der bisherigen Erkenntnisse über die indische Corona-Variante B.1.617 weiter relativ gelassen. Aus der sehr kleinen verfügbaren Datenbasis lasse sich schliessen, dass die Mutante nicht allein die heftige Infektionswelle in Indien verursache.
«Das ist mehr eine bunt gemischte Virus-Population», sagt der Wissenschaftler von der Charité in Berlin im Podcast «Coronavirus-Update» von NDR-Info.
Auch die britische Variante B.1.1.7, die mittlerweile in Deutschland und der Schweiz dominiert, sei stark vertreten.
In Indien kommen derzeit aus Sicht Drostens mehrere Effekte zusammen: Herdenimmunität sei dort einer Studie zufolge bei weitem noch nicht erreicht gewesen. Die Bevölkerung werde nun mit dem Coronavirus durchseucht, die schon ein bisschen die Anfangsimmunität aus bisherigen Wellen zu verlieren beginne.
Grundgesundheit der indischen Bevölkerung weniger gut
Gleichzeitig sei B.1.617 etwas verbreitungsfähiger und robuster gegen die Immunität. In der Fachsprache ist von Immunescape (Immunflucht) die Rede.
Diese Eigenschaft sei bei der indischen Mutation leicht ausgeprägt. Das sei auch im Vergleich mit anderen Varianten «nichts, was einen wirklich gross beunruhigt».
Drosten halte die indische Variante «in der Medienbewertung (für) überschätzt». Auch gebe es keine Belege, dass Menschen durch sie schwerer erkrankten. «Infizieren sich viele Leute zur gleichen Zeit, dann folgen auch bei den jüngeren Altersgruppen ganz viele Kranke in kurzer Zeit.»
In Indien sei die Grundgesundheit der Bevölkerung weniger gut als in Deutschland, sodass die jüngere Bevölkerung den Effekt wieder ausgleiche. Drosten machte aber deutlich, dass sich der Sachstand ändern kann: «Es kann sein, dass in zwei Monaten sich herausstellt, dass doch irgendwas ist mit diesem Virus.»
Indische Mutation des Coronavirus könnte Immunantwort abschwächen
In der Schweiz wurde am Samstag der erste Fall der indischen Mutation des Coronavirus publik. «Es handelt sich um einen Passagier, der über einen Transitflughafen eingereist war», schrieb das BAG auf Twitter.
ETH-Forscherin und Task Force-Mitglied Tanja Stadler äusserte sich am Dienstagabend ebenfalls im SRF «Club» über B1.167. Doch dies nicht ganz so gelassen wie Virologe Drosten: «Die indische Variante hat zwei Mutationen in einem bestimmten Bereich, die die Immunantwort abschwächen könnte.»
Diese zwei Mutationen seien schon unabhängig voneinander aufgetaucht, doch nun zum ersten Mal als Doppelmutanten. «Das heisst jetzt aber nicht, dass alle Impfungen überhaupt nicht mehr funktionieren», beruhigt Stadler.
Pandemie hat Indien fest im Griff
Das ohnehin schlecht ausgestattete Gesundheitssystem Indiens steht angesichts der rapide steigenden Infektionszahlen mit dem Coronavirus vor dem Kollaps. Seit letzten Donnerstag meldet die Behörden täglich über 300'000 Neuinfektionen, am Dienstag waren es über 323'000 neue Fälle.
In zahlreichen Spitälern sind medizinischer Sauerstoff und Medikamente knapp. Angehörige von Corona-Patienten suchen im Internet verzweifelt nach freien Spitalbetten.
Um die vielen Coronatoten einäschern zu können, wurden in Neu-Delhi auf einem Parkplatz rund ein Dutzend Scheiterhaufen aufgetürmt und angezündet. «Die Leute sterben, sterben und sterben einfach», sagte der Koordinator des improvisierten Krematoriums, Jitender Singh Shanty, der Nachrichtenagentur AFP. Auf dem Parkplatz werden derzeit rund hundert Leichen pro Tag eingeäschert.