Coronavirus fordert weltweit mehr als 3000 Opfer
Auch in Deutschland steigt die Zahl erfasster Infektionen mit dem neuen Coronavirus von Tag zu Tag deutlich. Die Reaktion darauf müsse verhältnismässig und angemessen ausfallen, betont Minister Jens Spahn. Oberstes Ziel ist ein Verlangsamen der Epidemie.
Das Wichtigste in Kürze
- Schulschliessungen und die Absage bestimmter Veranstaltungen - aber keine Schliessung von Grenzen: Die Massnahmen gegen eine Ausbreitung des neuen Coronavirus sollten verhältnismässig und angemessen ausfallen, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag in Berlin.
Eine generelle vorsorgliche Absage von Grossveranstaltungen sei ebenso wie eine generelle Schliessung von Unternehmen bei einzelnen Nachweisen unter Mitarbeitern nicht ratsam. «An bestimmten Stellen in Deutschland wird der Alltag ein Stück eingeschränkt sein müssen», betonte der Minister aber auch.
Bis zum Nachmittag waren beim Robert Koch-Institut (RKI) bundesweit 157 Sars-CoV-2-Infektionen erfasst, mehr als die Hälfte davon allein in Nordrhein-Westfalen. Das Institut stufte die Risikoeinschätzung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland von «gering bis mässig» auf «mässig» hoch. Für die EU stufte die EU-Gesundheitsagentur ECDC das Risiko von «moderat» auf «hoch» herauf, wie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mitteilte.
In mehreren Ländern weltweit steigen die Covid-19-Zahlen rasant, rund 90.000 Infektionen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 und mehr als 3000 Todesfälle sind inzwischen erfasst. Binnen etwa eines Tages wurden Nachweise in mehreren zuvor nicht betroffenen Millionen-Metropolen gemeldet, darunter Berlin, Moskau, Delhi und New York. In Deutschland wurden inzwischen in 10 der 16 Bundesländer Infektionen nachgewiesen, lediglich im Saarland und den meisten neuen Bundesländern gab es zunächst keine Meldungen. Die Lage sei sehr dynamisch und müsse jeden Tag neu bewertet werden, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler.
Das Schliessen von Grenzen oder das Beschränken von Reisefreiheit in Europa wäre kein angemessener oder verhältnismässiger Schritt, sagte Spahn. Er wandte sich auch gegen eine Einstellung von Direktflügen etwa zwischen China und Deutschland. Für Grossveranstaltungen sei unter anderem zu betrachten, ob Teilnehmer aus Risikogebieten erwartet würden. Auch für Unternehmen müsse es eine abgestufte Risikobewertung geben.
Bei der Ausbreitung des neuen Coronavirus geht es demnach in den kommenden Wochen vor allem um eine Verzögerung der Epidemie. Je besser es gelinge, die Rate der Ansteckungen kleinzuhalten, desto geringer werde der Druck auf das Medizinsystem und die Gesellschaft sein, sagte auch der Virologe Christian Drosten. Bei Massnahmen wie Schulschliessungen und Veranstaltungsabsagen gehe es nicht vordringlich um das Risiko für den Einzelnen, betonte er. Covid-19 sei eine milde Erkrankung, im Grunde eine Art Erkältung, die meist rasch überstanden oder von vorherein kaum zu spüren sei. Mit den Massnahmen lasse sich aber die Verbreitung eindämmen - und es mache einen riesigen Unterschied, ob eine Ausbreitungswelle eine Bevölkerung binnen weniger Wochen oder auf zwei Jahre verteilt zu grossen Teilen erfasse.
Nach den derzeitigen Daten liege die Covid-19-Todesrate bei 0,3 bis 0,7 Prozent, sagte Drosten. Das bedeutet, dass von 1000 Infizierten 3 bis 7 sterben. Wahrscheinlich liege die tatsächliche Rate sogar noch darunter, erklärte der renommierte Virologe von der Berliner Charité. Am schwersten abzuschätzen sei derzeit, mit welcher Geschwindigkeit sich das Virus ausbreite. Es gebe Hinweise, dass ein Infizierter im Mittel drei weitere Menschen ansteckt - dieser Wert sei aber mit grossen Unsicherheiten behaftet. Gestoppt wird eine Epidemie dann, wenn ein Infizierter statistisch im Durchschnitt weniger als einen weiteren Menschen ansteckt.
Zunächst allerdings ist auch in Deutschland weiter von einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen und neu entdeckten Infektionsketten auszugehen. So wurde in Berlin erstmals eine Ansteckung erfasst - und das nur zufällig: Die Infektion bei einem 22-Jährigen wurde bemerkt, weil die Charité Influenza- und Coronavirus-Test verbindet. Der Mann war am Sonntag mit neurologischen Symptomen in die Notaufnahme gebracht worden. Er wird nun isoliert im Virchow-Klinikum der Charité behandelt.
Wie der seit rund zwei Wochen unter Erkältungssymptomen leidende Mann sich mit Sars-CoV-2 infizierte, war zunächst unklar. «Es gibt eine leise Spur nach Nordrhein-Westfalen», sagte Charité-Vorstand Ulrich Frei. Die Eltern des Mannes leben dort und hatten ihn besucht.
Nordrhein-Westfalen ist derzeit mit mehr als 90 Nachweisen das am schwersten betroffene Bundesland. Allein im Kreis Heinsberg waren bis Montagmittag 78 Infektionen bekannt, wie ein Sprecher des Kreises mitteilte. Für den schwer erkrankten 47-Jährigen, der seit Tagen in der Düsseldorfer Universitätsklinik behandelt wird, gebe es nach wie vor keine Entwarnung, hiess es zudem. Der Mann und seine ein Jahr jüngere Frau hatten am 15. Februar in Gangelt bei einer Sitzung Karneval gefeiert. Zahlreiche Menschen sollen sich auf der Feier angesteckt haben.
Behörden in vielen Ländern erlassen derzeit Massnahmen wie Schulschliessungen und eine Quarantäne für Verdachtsfälle. Bei manchen Menschen lässt das den Eindruck entstehen, es müsse sich bei Covid-19 um eine besonders gefährliche Erkrankung handeln. Der Hintergrund solcher Massnahmen ist aber ein anderer: Eine ungebremste Infektionswelle könnte unter anderem volle Wartebereiche und Arztpraxen, belegte Intensivbetten und überlastete Gesundheitsämter bedeuten. Daher ist das Ziel, die Ausbreitung über einen möglichst langen Zeitraum zu strecken. In etwa einem Jahr könnte es eine schützende Impfung gegen den neuen Erreger geben.
Die Inkubationszeit - der Zeitraum zwischen Infektion und Beginn von Symptomen - beträgt nach derzeitigem Stand meist 2 bis 14 Tage. Das ist der Grund dafür, dass Verdachtsfälle derzeit meist etwa zwei Wochen lang isoliert werden.
In Europa ist Italien das am stärksten von der Covid-19-Epidemie betroffene Land. Es ist zudem eines der nach offizieller Statistik am stärksten von der Epidemie erfassten Länder der Welt - bei vielen Staaten gehen Experten allerdings von einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster Fälle aus. Bis zum Sonntagabend waren in Italien 1700 Infektionen erfasst, darunter 34 Todesfälle.
Insgesamt wurden nach Angaben der EU-Kommission inzwischen deutlich mehr als 2000 Sars-CoV-2-Infektionen in 18 EU-Staaten nachgewiesen. In den fünf nordischen Ländern gab es bis zum Montag rund 40 bestätigte Fälle, in Frankreich rund 130, in Spanien deutlich über 100, in Grossbritannien etwa 40. Auch aus Portugal gab es erste Meldungen zu eingeschleppten Infektionen. Weltweit ist neben dem Ursprungsland China weiterhin Südkorea am stärksten von Covid-19 betroffen. Dort stieg die Zahl nachgewiesener Infektionen auf mehr als 4300, mehr als 25 Todesfälle sind inzwischen erfasst.
Die wirtschaftlichen Folgen der Epidemie machen sich immer stärker bemerkbar. Die Industriestaaten-Organisation OECD erwartet im laufenden Jahr nur noch ein Wachstum der globalen Wirtschaft von 2,4 Prozent. Das ist ein halber Prozentpunkt weniger als zuletzt vorhergesagt. Im Vorjahr hatte die Wirtschaft weltweit noch um 2,9 Prozent zugelegt.