OSZE

Ex-Generalsekretär sieht OSZE in existenzgefährdender Situation

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Bern,

Die OSZE kämpft mit diversen Problemen. Diese wiegen schwer, sagt der ehemalige Generalsekretär Thomas Greminger.

Thomas Greminger
Thomas Greminger. - keystone

Der frühere OSZE-Generalsekretär Thomas Greminger hat davor gewarnt, die aktuelle Führungskrise in der Sicherheitsorganisation auf die leichte Schulter zu nehmen. «Die OSZE ist existenzgefährdet, wenn es nicht gelingt, die Führungsprobleme zu lösen und auch das Budgetproblem», sagte der Schweizer Diplomat im Gespräch mit der österreichischen Nachrichtenagentur APA.

Ohne die vier Topjobs gehe es nur «über einige Monate gut», mittelfristig brauche die Organisation aber einen Generalsekretär und Chefs für die drei Institutionen, sagte Greminger. Heute leitet er das hauptsächlich vom Bund finanzierte Zentrum für Sicherheitspolitik in Genf.

Der Luzerner Diplomat stand von 2017 bis 2020 an der Spitze der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Sowohl seiner eigenen Ernennung als auch jener seiner Nachfolgerin Helga Schmid war ein monatelanges Führungsvakuum vorausgegangen. Seit Anfang September ist das Generalsekretariat der OSZE in der Wiener Innenstadt neuerlich unbesetzt.

«Ich bin mir nicht sicher, ob es diesmal nicht länger dauern wird», sagte Greminger auf die Frage, ob der Führungsstreit bis Jahresende gelöst wird. Das Vorsitzland Malta habe sich zwar «sehr ins Zeug gelegt», aber eine Lösung auf Ebene der OSZE-Botschafter in Wien sei nicht zu erwarten gewesen. «Die ideale Lösung wäre gewesen, ein informelles Ministertreffen einzuberufen», sagte Greminger. Malta sei aber wohl wegen der zu erwartenden Komplikationen zurückgeschreckt, weil eine Teilnahme des russischen Aussenministers Sergej Lawrow einen Boykott durch mehrere europäische Staaten hätte auslösen können.

Derzeit kommen die Aussenminister der OSZE-Staaten nur am Jahresende zusammen, um die Staffelübergabe zwischen zwei Vorsitzländern abzuwickeln. Im Vorjahr klappte auch das nur mit grosser Anstrengung, nachdem Malta für das von Russland blockierte OSZE-Vorsitzkandidatenland Estland eingesprungen war. Immer wieder gab es zusätzlich auch informelle Ministertreffen, etwa im Sommer 2017 unter österreichischem Vorsitz in Mauerbach bei Wien.

«Es müsste gelingen, informelle Ministertreffen zu einer Usance zu machen, weil sie sehr nützlich sind», sagte Greminger. Anders als andere internationale Organisationen beanspruche die OSZE die Aussenminister derzeit «kaum», argumentierte er.

Dringend brauche es auch eine Reform beim OSZE-Budget, weil die jetzige Situation mit freiwilligen Zuwendungen einzelner Staaten zum Stopfen der Finanzierungslücken «keine nachhaltige Lösung» sei. Konkret schlug Greminger vor, dass der zum Jahresende tagende OSZE-Ministerrat dazu verpflichtet wird, ein Budget für das kommende Jahr zu beschliessen. Seit 2021 hat die OSZE kein reguläres Budget mehr. Das damalige Budget wird zwar fortgeschrieben, doch kommt das wegen der hohen Inflation einer massiven Kürzung gleich.

Trotz der grossen Probleme will Greminger die grösste regionale Sicherheitsorganisation der Welt nicht abschreiben. «Die OSZE ist ein totes Pferd, wenn es darum geht, Dialog zu führen zwischen Russland und dem Westen und für Konfliktbewältigung in der Ukraine. Da ist aktuell nichts zu holen», räumte er ein. Doch leiste die Organisation in vielen Bereichen und Regionen wichtige Arbeit, die von den betroffenen Staaten sehr geschätzt werde. Auch sollte man die OSZE und ihre Institutionen «am Leben erhalten, weil sie morgen oder übermorgen nützlich sein könnten».

So könnte die OSZE etwa auch bei der Überwachung eines möglichen Waffenstillstands zwischen Russland und der Ukraine eine Rolle spielen, sagte Greminger, der als Botschafter während des Schweizer OSZE-Vorsitzes 2014 wesentlich zur Schaffung der damaligen Sonderbeobachtungsmission (SMM) in der Ukraine beigetragen hatte.

«Es gibt eine Reihe von Dingen, die man anders oder besser machen kann», sagte er auf die Frage nach den Lehren aus der OSZE-Mission, die zwischen 2014 und 2022 die sogenannte «Kontaktlinie» in der Ostukraine überwachte. So sei die russisch-ukrainische Offiziersgruppe, die Verletzungen der Waffenruhe ahnden sollte, schon nach zwei Jahren zerfallen.

Auch die Beteiligung der Konfliktparteien an der Mission – Ukrainer als Hilfskräfte und Russen als Militärbeobachter – habe für Argwohn auf beiden Seiten gesorgt. Schliesslich habe es mehrere Jahre gedauert, bis die SMM technisch in der Lage dazu gewesen sei, die Kontaktlinie mit Satelliten und Drohnen umfassend zu beobachten. Am Schluss sei die SMM eine «Hi-Tech-Operation» gewesen.

Eine Neuauflage der Mission werde aus verschiedenen Gründen einen «Uno-Schirm» brauchen, so Greminger. Die OSZE sei derzeit nämlich bei Ukrainern und Russen «nicht gut angeschrieben». Zudem hätten nur die Vereinten Nationen die nötige Erfahrung im militärischen Bereich. Ausserdem hätte man bei einer Blauhelmtruppe einen «breiteren Pool» an möglichen Truppenstellern, etwa auch aus Weltregionen, die sich im Konflikt zwischen Moskau und Kiew nicht so stark exponiert haben. An eine Mission nach Artikel 7 der Uno-Charta, die auch friedensschaffend tätig wäre, glaubt Greminger nicht. «Es wird eine Überwachungsoperation geben, vermutlich auch mit militärischen Elementen.» Umso wichtiger sei es, dass diese Mission mit starken Sicherheitsgarantien für beide Seiten verknüpft werde.

Vor den US-Präsidentschaftswahlen werde es in Sachen Waffenstillstand «sicher keine Bewegung» geben, weil sowohl Kiew als auch Moskau den Wahlausgang abwarten wollen. Während Russland von einem «Jalta 2» – nach dem Vorbild der Konferenz im Jahr 1945, bei der die Teilung Europas beschlossen wurde – oder einem Zerfall der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine träume, stelle sich die Ukraine auf Waffenstillstandsverhandlungen ein.

Kiew gehe es mittlerweile nicht um den Erhalt der territorialen Integrität, sondern um die Bewahrung der Souveränität und die künftige westliche Ausrichtung inklusive einer EU-Mitgliedschaft. So könnte die Ukraine bereit sein, eine temporäre Abtretung von Gebieten zu akzeptieren, «wenn der Rest des Pakets passt», so Greminger. Darauf deute auch die Offensive in der russischen Grenzregion Kursk hin, mit der ein «Verhandlungspfand» erlangt werden sollte. Dieses könnte gegen die russisch besetzten Regionen in der Südukraine getauscht werden, vermutet der frühere Schweizer Armeeoffizier.

Befragt zur Zukunft der OSZE, die kommendes Jahr den 50. Jahrestag ihres Gründungsaktes – der KSZE-Schlussakte von Helsinki – gedenke, sagte Greminger, eine Rückkehr des «Geists von Helsinki» sei derzeit nicht absehbar. «In absehbarer Zeit wird die europäische Sicherheitsordnung sehr wenig gemein haben mit der Helsinki-Logik», sagte er mit Blick auf das damalige Tauwetter zwischen dem kapitalistischen Westen und dem kommunistischen Osten Europas. Ob es eine Rückkehr zu den Werten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) geben kann, sei wesentlich vom künftigen Verhalten Moskaus abhängig, so der Experte.

Für neutrale Staaten sieht Greminger weiterhin einen Platz in der europäischen Sicherheitsordnung. Es gebe zwar weniger neutrale Staaten als noch vor einigen Jahren, doch handelt es sich dabei nicht nur um die Schweiz, Österreich oder Malta. So seien weitere Staaten auf dem Westbalkan, in Osteuropa oder dem Kaukasus bündnisfrei. Diese Staaten wären nicht so glücklich, wenn Verhandlungen über eine künftige europäische Sicherheitsordnung nur zwischen der NATO und Russland stattfänden.

Auch für die Schweiz und Österreich sieht Greminger keine Notwendigkeit, sich dem westlichen Bündnis anzuschliessen, im Gegenteil. «Eine aktive Neutralitätspolitik ist durchaus interessanter als mit den Wölfen zu heulen.» Schliesslich gebe es derzeit weltweit 60 bewaffnete Konflikte, in denen es Vermittler brauche. «Neutrale sind immer noch sehr nützlich», betonte er.

Kommentare

User #4117 (nicht angemeldet)

Eine weitere unnötige Organisation welche niemand braucht aber unheimlich viel Geld verschlingt.

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