Geophysiker: «Starkes Erdbeben wahrscheinlicher als Vulkanausbruch»
Wissenschaftler beraten über die Erdbebenserie auf Santorini, dabei erkennt Geophysiker Hübscher auch eine philosophische Seite.
International beraten Wissenschaftler über die Ursachen und mögliche weitere Entwicklung der Erdbebenserie auf der griechischen Insel Santorini. Geophysiker Christian Hübscher diskutiert mit – und kann bei seinem Job auch eine philosophische Seite erkennen: «Mit Vulkanen und Erdbeben ist es wie mit dem Leben: Man muss es vorwärts leben, kann es aber nur rückwärts verstehen», sagt er in Anlehnung an Søren Kierkegaard. Hübscher leitet den Bereich Marine Geophysik an der Universität Hamburg und erforscht seit fast 20 Jahren in enger Zusammenarbeit mit griechischen Kollegen und Kolleginnen die Vulkane von Santorini.
Die unheimliche Erdbebenserie, von der die Inseln Santorini, Amorgos, Ios und Anafi derzeit erschüttert werden, verfolgt der Fachmann genau. «Sie ist sehr intensiv und bereitet zu Recht Sorge», sagt er. Dass die beiden Vulkane der Region – Santorini selbst und der rund sieben Kilometer nordöstlich gelegene Unterwasservulkan Kolumbo – dafür verantwortlich sind, glaubt er jedoch nicht.
«Die meisten Experten sind sich einig, dass die Frequenzen eher durch tektonische Aktivität gesteuert werden.» Insofern sei ein starkes Hauptbeben – wenn überhaupt – wahrscheinlicher als ein Vulkanausbruch.
Einer der Vulkane ist «leicht aktiv»
Griechische Wissenschaftler haben im Rahmen der Analyse der aktuellen Erdbebenserie am Mittwoch eine «leichte Aktivität» des Vulkans von Santorini festgestellt. Den Menschen in der Region bereitet das Sorge – könnten die Erdbeben einen Vulkanausbruch verursachen?
«Es kann Rückkopplungsmechanismen zwischen den Erdbeben und den Vulkanen geben», bestätigt Hübscher. «Aber die Hypozentren der Beben liegen nicht dort, wo die Magmakammern sind, sondern unter der kleinen Insel Anydros rund 170 Kilometer weiter nordöstlich. Das ist erstmal ganz gut.»
Die Angst der Menschen kommt nicht von ungefähr. Als der Vulkan von Santorini zuletzt ausbrach, im Jahr 1950, war es zwar eine nur eine kleine Eruption. Beim bislang letzten Ausbruch des Kolumbo um das Jahr 1650 hingegen kamen 70 Menschen ums Leben, es gab einen Tsunami und eine ebenso gewaltige wie giftige Gaswolke.
Fünf Eruptionen bislang
«Den Kolumbo haben wir intensiv untersucht. Er ist in seiner geologischen Geschichte fünf Mal ausgebrochen, dazwischen lagen jeweils einige Zehntausend Jahre», sagt Hübscher. Da der letzte Ausbruch noch keine 400 Jahre zurückliege, sei das Risiko also statistisch eher gering.
Dafür könnte es zu einem schweren Erdbeben kommen – wissen kann das aber niemand. «Es gibt immer mal wieder extreme Prognosen von einzelnen Experten, aber das ist Kaffeesatzleserei», sagt Hübscher.
Sorge bereitet ihm allerdings, dass die Santoriner ihre Insel verlassen – gut zwei Drittel der rund 16'000 Einwohner sind wegen der Beben aufs Festland geflohen. «Die Einheimischen sind erdbebenerprobt und haben ein gutes Gespür für ihre Insel. Wenn sie die verlassen, dann deshalb, weil die Situation extrem ist.»
Expedition ins Gebiet des Erdbebenschwarms
Hübscher selbst hält es mit Kierkegaard: Im Rahmen einer Expedition will er bereits im März erneut in der Region forschen und dabei zumindest rückblickend Erkenntnisse über die aktuelle Erdbebenserie gewinnen. An Bord des Forschungsschiffs Maria S. Merian wird ein interdisziplinäres Team nach bislang unbekannten Unterwasservulkanen suchen – und überprüfen, ob der jetzige Erdbebenschwarm den Meeresboden durch Hangrutsche und Verwerfungen oder den Austritt von Flüssigkeit und Gas verändert hat.