Experte erwartet 60 bis 70 Prozent Infizierte in Deutschland

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Deutschland,

Das neuartige Coronavirus kommt im Alltag der Menschen an. Viele Bürger decken sich mit Desinfektionsmitteln ein, Handelsketten berichten von Engpässen. Unterdessen berät der Krisenrat, wie sich die Ausbreitung des Virus eindämmen lässt.

Eine Kieler Apotheke erspart ihren Kunden einen unnötigen Weg: «Gesichtsmasken sind ausverkauft - Face masks out of stock» heisst es neben der Eingangstür. Foto: Frank Molter/dpa
Eine Kieler Apotheke erspart ihren Kunden einen unnötigen Weg: «Gesichtsmasken sind ausverkauft - Face masks out of stock» heisst es neben der Eingangstür. Foto: Frank Molter/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • In Deutschland werden sich nach Ansicht eines Experten viele Menschen mit dem neuen Coronavirus anstecken.

«Es werden sich wahrscheinlich 60 bis 70 Prozent infizieren, aber wir wissen nicht, in welcher Zeit», sagte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité am Freitag.

«Das kann durchaus zwei Jahre dauern oder sogar noch länger», sagte er weiter. Problematisch werde das Infektionsgeschehen nur, wenn es in komprimierter, kurzer Zeit auftrete. «Darum sind die Behörden dabei, alles zu tun, um beginnende Ausbrüche zu erkennen und zu verlangsamen.»

Deutschland sei hervorragend auf die Lungenkrankheit Covid-19 vorbereitet. «Wenn das ganze Pandemiegeschehen, bevor das Virus zu einem landläufigen Erkältungsvirus wird und nicht mehr weiter auffällt, sich so in zwei Jahren abspielt, da können wir damit umgehen», sagte Drosten. «Wenn es ein Jahr ist, wird es deutlich schwerer, weil wir dann in derselben Zeit deutlich mehr Fälle haben.» Er mahnte dennoch: Die benötigte Zahl der Therapiebetten auf den Intensivstationen könne man schwer vorhersagen, aber, «wenn wir jetzt nichts tun, dann werden die vielleicht nicht ausreichen».

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat angesichts der wachsenden Zahl von Sars-CoV-2-Infektionen das Risiko einer weltweiten Verbreitung des Virus von «hoch» auf «sehr hoch» gesetzt. Noch aber sei der Kampf gegen die Ausbreitung nicht verloren, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. «Die Eindämmung beginnt mit jedem Einzelnen», sagte er. «Zusammen sind wir stark. Unser grösster Feind ist nicht das Virus. Unsere grössten Feinde sind Angst, Gerüchte und Stigma. Was wir brauchen, sind Fakten, Vernunft und Solidarität.»

Die Schweiz griff am Freitag zu einer drastischen Massnahme und verbot alle Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern. Das Verbot soll bis mindestens 15. März gelten. Das betrifft unter anderem den Genfer Autosalon, der am 5. März starten sollte und zu dem jedes Jahr mehr als 600.000 Besucher kommen. Ebenso trifft es die Basler Fasnacht, die an diesem Montag beginnen sollte.

Die Zahl erfasster Infektionen in Deutschland war bis Freitagvormittag nach Angaben des Robert Koch-Instituts auf 53 gestiegen, hauptsächlich in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Im Laufe des Tages wurden weitere bestätigte Infektionen gemeldet. Betroffen sind auch die Bundesländer Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Hamburg beziehungsweise Schleswig-Holstein.

Allein in dem stark betroffenen Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen stieg die Zahl der Infizierten bis Freitagnachmittag auf 35. Ein Ehepaar dort wird im Krankenhaus behandelt. Alle anderen seien nicht stationär aufgenommen worden, sagte Landrat Stephan Pusch (CDU). Der Krankheitsverlauf sei bei ihnen vergleichsweise mild.

Unter den 35 Infizierten sind nach Kenntnis des Landrats bisher keine Kinder. Am Freitagabend wurden aber noch Testergebnisse von Kindern eines Kindergartens erwartet, in dem die 46-jährige Ehefrau als Erzieherin tätig ist. Etwa 1000 Menschen befinden sich im Kreis Heinsberg nach Schätzungen der Behörden in häuslicher Quarantäne.

In Deutschlands zweitgrösster Stadt Hamburg hat sich ein Arzt der Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) aus Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein) infiziert. Nach Erkenntnissen der Behörden hatte er im privaten und beruflichen Umfeld Kontakt zu etwa 100 Personen. Die Behörden seien dabei, diese Personen zu kontaktieren.

Die Kontaktpersonen des Kinderarztes am Klinikum seien alle auf Sars-CoV-2 getestet worden, mit negativem Ergebnis, sagte eine Sprecherin. Unter den Betroffenen seien 16 Kinder, die mit je einem Elternteil auf Station isoliert worden seien, und 12 ärztliche Mitarbeiter, die zu Hause isoliert seien. UKE-Vorstand Joachim Prölss betonte, dass das UKE weiterhin voll handlungsfähig sei.

Handelsketten wie Lidl und Aldi Süd berichteten am Freitag bei einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur von teilweise deutlich erhöhten Verkaufszahlen bei Produkten wie Konserven oder Desinfektionsmitteln. Kurzfristig sei es in einigen Läden zu Engpässen gekommen. Die Supermarktkette Rewe verzeichnete «nicht flächendeckend, aber durchaus bundesweit» eine erhöhte Nachfrage nach haltbaren Lebensmitteln. Der Handelsverband Deutschland (HDE) betonte, die Lieferstrukturen im Handel seien «gut vorbereitet, so dass die Versorgung der Bevölkerung gewährleistet ist».

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) plädiert beim Umgang für «Mass und Mitte». Es sollten nicht alle Veranstaltungen deshalb abgesagt werden, sagte sie am Freitagabend auf ihrem Jahresempfang in ihrem vorpommerschen Bundestagswahlkreis in Stralsund. Deutschland gehöre zu den Ländern, die die besten Voraussetzungen hätten, um mit dem Virus klarzukommen. Zudem könne jeder einzelne etwas dazu beitragen. Sie ging mit gutem Beispiel voran: «Ich gebe heute Abend niemandem die Hand», sagte Merkel.

Laut RKI hat sich die Zahl der Fälle weltweit auf mehr als 83.000 Infizierte in 52 Ländern erhöht. Ein Teil dieser Menschen ist längst wieder geheilt oder hatte von vornherein keine oder kaum Symptome, überstandene Infektionen bleiben in der Statistik aber weiter erfasst. In Europa sind mehr als 20 Länder betroffen, wie aus der Statistik des europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) hervorgeht.

Die meisten Sars-CoV-2-Infizierten haben nur eine leichte Erkältungssymptomatik mit Frösteln und Halsschmerzen oder gar keine Symptome. 15 von 100 Infizierten erkrankten schwer, hiess es vom RKI. Sie bekommen etwa Atemprobleme oder eine Lungenentzündung. Nach bisherigen Zahlen sterben ein bis zwei Prozent der Infizierten, weit mehr als bei der Grippe.

Auch die Wirtschaft bekommt die Furcht vor der Virus-Ausbreitung zunehmend zu spüren: Der wichtigste deutsche Aktienindex Dax fiel am Freitag um mehr als fünf Prozent. Die Sorge um die Folgen der Coronavirus-Ausbreitung belasten seit Tagen die Finanzmärkte weltweit und drückten am Morgen bereits die Börsen in Asien tiefer ins Minus.

Auch im Sport werden erste Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie spürbar. In Abu Dhabi und Berlin sitzen Radprofis in Quarantäne, bei Weltcup-Skirennen in Norditalien wurde Körperkontakt praktisch untersagt und die Schweiz hat aus Sorge vor Covid-19 gleich alle grösseren Sportveranstaltungen inklusive Toppartien im Fussball und Eishockey verboten.

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