Hochzeitskorsos machen Schlagzeilen
Nach dem Ja-Wort geben sie Gas, nehmen Kurs auf die Autobahn, blockieren die Streifen und ballern dabei nicht selten mit ihren Schreckschusspistolen. Die Randale zur Feier des Tages sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Zahlen im Südwesten gibt es aber nicht.
Das Wichtigste in Kürze
- Zurück bleiben kreisrunde Bremsspuren und frustrierte Polizisten.
Wenn Hochzeitsgesellschaften ausufern und die wilde Feierei auf Autobahnen fortgesetzt wird, sind Ordnungshüter zwar oft zur Stelle.
Den Beamten sind aber in den meisten Fällen trotz aller Appelle und Drohungen die Hände weitgehend gebunden. Geldbussen können Polizisten verhängen, den einen oder anderen Führerschein ziehen sie vielleicht auch ein - aber nicht selten kommen sie zu spät zur feiernden Gesellschaft, die die Autobahnen blockiert, die mit Schreckschusspistolen in die Luft ballert, hupt und mit den Reifen quietschend ihre Runden dreht.
Polizei ist alarmiert
In Ludwigsburg nahe Stuttgart ist die Polizei nach den jüngsten Fällen alarmiert - nicht zuletzt nach Dutzenden in NRW, dem Hotspot der Korsos. Zuletzt hatte es vor dem Fastenmonat Ramadan teilweise mehr als 30 Einsätze pro Wochenende wegen eskalierter Hochzeitsfeiern in NRW gegeben. «Strassenblockaden oder sogar Schüsse gehen bei einer Hochzeitsfeier definitiv überhaupt nicht», warnt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) deutlich und verärgert in einem Interview der «Heilbronner Stimme». Auch die Gewerkschaft der Polizei fordert ein hartes Durchgreifen und Beschlagnahmen der Autos.
Das scheint dem einen oder anderen allerdings ziemlich egal zu sein: Die Zahl der illegalen Hochzeitskorsos hat in den vergangenen Monaten nach Einschätzung von Polizei und Politik zugenommen, angefacht nicht zuletzt auch durch die Verbreitung der Videos in den sozialen Medien.
«Für die, die das machen, ist es Imponiergehabe mit Autos, die ihnen möglicherweise auch gar nicht gehören», sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens. «Damit will man zeigen, was man hat und wer man ist.» Der Erziehungswissenschaftler Ahmed Toprak von der FH Dortmund sieht das ähnlich: «Es geht um Macht», sagt er. «Es geht um Statussymbole. Die jungen Leute wollen zeigen, wer sie sind und was sie haben», sagt er. Die meist türkischstämmigen Männer interpretierten bei den Korsos lediglich eine traditionelle Kultur neu - «leider», sagt Toprak, der über das Thema «Hochzeiten» promoviert hat.
«Ritual der Befreiung»
Für den früheren Polizeidirektor und Türkei-Experten Bernd Liedtke sind die Korsos «ein Ritual der Befreiung, mit der türkischstämmige junge Menschen der Mehrheitsgesellschaft sagen, dass sie auch noch da sind». Ein Hilferuf? «Ja, diese Menschen der dritten und vierten Generation sitzen zwischen den Stühlen, sie werden von den Türken nicht als Türken gesehen und von den Deutschen nicht als Deutsche.» Mit türkischer Kultur habe das Gehabe am Steuer nichts zu tun: «In der Türkei traut sich das niemand», sagt Liedtke.
Dagegen analysiert das NRW-Innenministerium den Hintergrund des Phänomens in einem Lagebild recht nüchtern: «In Deutschland lebende türkische Staatsangehörige sowie Personen mit entsprechendem Migrationshintergrund haben seit Generationen die Bräuche und Sitten tradiert», heisst es dort. «Aus diesem Grund wird das Hochzeitsfest oftmals traditionell begangen. Zu den Bräuchen am Hochzeitstag zählt insbesondere die Abholzeremonie.»
In NRW, von ausufernd feiernden Hochzeitsgesellschaften im Ruhrgebiet und Köln am stärksten gebeutelt, haben die Sicherheitsbehörden einen schmalen Flyer erstellt, mit dem in Festsälen vor allem türkische Hochzeitsgesellschaften angesprochen werden sollen. «Halten Sie sich an die Verkehrsregeln», «Provozieren Sie keine Staus», «Zünden Sie keine Feuerwerkskörper» oder «Führen Sie keine Waffen mit», heisst es dort. Baden-Württemberg will diesem Beispiel folgen und in mehrsprachigen Broschüren vor risikoreichen Hochzeitskorsos warnen.