Karlsruhe kippt Datenauswertung aus Antiterrordatei

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Deutschland,

Karlsruhe kippt die systematische Durchforstung der Antiterrordatei durch Strafverfolgungsbehörden. Diese ist allerdings sechs Jahre nach Einführung der Befugnisse technisch noch gar nicht möglich.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die systematische Durchforstung der Antiterrordatei durch Strafverfolgungsbehörden gestoppt. Foto: picture alliance / dpa
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die systematische Durchforstung der Antiterrordatei durch Strafverfolgungsbehörden gestoppt. Foto: picture alliance / dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Seit sechs Jahren dürfen die Sicherheitsbehörden den Datenbestand der Antiterrordatei systematisch auf Zusammenhänge und Verbindungen durchforsten - das geht dem Bundesverfassungsgericht teilweise zu weit.

Die Karlsruher Richter setzten die «erweiterte Datennutzung» im Bereich der Strafverfolgung mit sofortiger Wirkung ausser Kraft, wie das Gericht am Freitag mitteilte. Zum Sammeln von Informationen zum internationalen Terrorismus und zur Verhinderung von Anschlägen darf das Instrument weiter eingesetzt werden. Hier sind die neuen Befugnisse verfassungsgemäss. (Az. 1 BvR 3214/15)

Die praktischen Auswirkungen dürften sich aber in Grenzen halten: Das Bundeskriminalamt (BKA), bei dem die Datei geführt wird, hat von den neuen Möglichkeiten noch gar keinen Gebrauch gemacht. Sie seien technisch bislang nicht umgesetzt, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Dies sei «mit dem aktuellen ATD-Softwarekern nicht möglich».

Das Bundesinnenministerium sieht den Hauptzweck der Antiterrordatei (ATD) nicht gefährdet. Dieser bestehe in der Vernetzung von Polizei und Nachrichtendiensten, sagte ein Sprecher in Berlin.

Die 2007 eingerichtete Antiterrordatei steht den Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern zur Verfügung. In den Jahren 2014 bis 2017 waren durchgängig mehr als 10 000 Personen als «Hauptobjekt» gespeichert. Die Datensammlung soll helfen, insbesondere islamistische Terroranschläge durch schnellen Informationsaustausch zu verhindern.

Zu den erfassten Personen sind Grunddaten wie Name, Geschlecht und Geburtsdatum für alle offen zugänglich gespeichert. Auf die sogenannten erweiterten Grunddaten wie besuchte Orte, genutzte Internetseiten, Angaben zur Gefährlichkeit oder Kontaktpersonen darf nur unter bestimmten Voraussetzungen zugegriffen werden.

In einem ersten grossen Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht die Datei 2013 grundsätzlich gebilligt, einzelne Vorschriften jedoch für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz musste überarbeitet werden.

Schon damals hatten die Richter problematisiert, dass Polizeien und Nachrichtendienste auf dieselben Informationen zugreifen können. Die Rechtsordnung sehe vor, dass die Polizei, die operative Aufgaben wahrnehme, grundsätzlich offen arbeite. Die verdeckt arbeitenden Geheimdienste müssten sich hingegen aufs Beobachten und Aufklären beschränken. Dieses Prinzip nennt sich Trennungsgebot.

Die gemeinsame Datei birgt das Risiko, dass Polizisten aufgrund ungesicherter Erkenntnisse der Nachrichtendienste gegen Verdächtige vorgehen - und damit womöglich unbescholtene Bürger treffen. Für den Austausch gelten deshalb ganz besonders hohe Anforderungen.

Die Verfassungsbeschwerde, über die die Richter jetzt entschieden, richtete sich gegen einen bei der Reform neu eingefügten Paragrafen (§ 6a Antiterrordateigesetz), der seit Anfang 2015 die «erweiterte projektbezogene Datennutzung» regelt. Er erlaubt den Behörden erstmals, über systematische Suchanfragen Querverbindungen zwischen gespeicherten Datensätzen herzustellen, um so neue Erkenntnisse zu gewinnen. Laut Gericht war das bisher nur in Eilfällen möglich.

Dabei geht es um die Strukturierung und Auswertung der Daten. Laut Paragraf 6a dürfen die Behörden dabei Zusammenhänge «zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Objekten und Sachen» herstellen. Dabei darf über mehrere Datenfelder gesucht werden, die Kriterien können zeitlich eingegrenzt und gewichtet werden.

Die Richter des Ersten Senats unter Gerichtspräsident Stephan Harbarth sehen hierdurch eine «gesteigerte Belastungswirkung». Die gewonnenen Erkenntnisse müssten deshalb «einem herausragenden öffentlichen Interesse dienen». Bei der Strafverfolgung ist dem Beschluss zufolge ein «verdichteter Tatverdacht» erforderlich. Das sei durch die beanstandete Regelung nicht sichergestellt.

Die Richter erklärten den Passus für nichtig. Der Kläger war derselbe wie beim ersten Urteil, ein pensionierter Richter. Er hatte sich auf sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung berufen.

Das BKA äusserte sich auch aus fachlicher Sicht skeptisch zur erweiterten Datennutzung, die in nahezu identischer Weise auch für die 2012 eingerichtete Rechtsextremismusdatei vorgesehen ist. «Aufgrund der bestehenden Restriktionen zum zulässigen Datenumfang eines Projektes» berge das Instrument «keinen klar erkennbaren Mehrwert». «So könnten insbesondere nur offen gespeicherte Daten im Rahmen eines Projektes genutzt werden, während verdeckt gespeicherte Daten ausgeschlossen sind», teilte die Sprecherin mit.

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