Tierversuche: Firmen testen gezielt an gutmütigen Hunden
Die Tierversuchs-Lobby weibelt für Tests an Hunden. Schweizer Tierschützer üben Kritik – das sei nicht mehr nötig. Bitter: Es trifft besonders gutmütige Tiere.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Tierversuchslobby wirbt derzeit für die Fortsetzung von Tierversuchen an Hunden.
- Schweizer Tierschützer kritisieren das als nicht zeitgemäss und pochen auf Alternativen.
- Die Tester verteidigen sich: Hunde seien für Medikamententests «die einzige Möglichkeit».
Braucht es Tierversuche oder nicht?
Die Frage spaltet die Gemüter. Befürworter argumentieren vor allem mit medizinischem Fortschritt und Vorteilen für Mensch und Tier. Die Gegner pochen auf alternative Methoden und sorgen sich um das Tierwohl.
Eine neue Kampagne der europäischen Tierversuchslobby lässt den Streit nun erneut aufflammen: Die European Animal Research Association (EARA) rechtfertigt Versuche an Hunden und plädiert für ihre Fortführung.
Alle Haustier-Medis «zuvor an Hunden» getestet
Auf ihrer Webseite schreibt sie unter anderem: «Der Einsatz von Hunden in der Forschung dient nicht nur der menschlichen Gesundheit, sondern auch derjenigen der Hunde selbst.»
Hundebesitzer «sollten daran denken, dass alle Impfungen, Wurmtabletten, (...), die Sie Ihren Haustieren verabreichen, zuvor an Hunden (...) getestet wurden».
Die Lobby betont in der Kampagne zudem, welche «strikten Regeln» in der EU für Tierversuche bereits gelten würden.
Mitglieder bei der EARA sind übrigens auch sechs Schweizer Firmen und Organisationen. Darunter Novartis und die Universität Zürich.
Firmen lassen in der EU testen und verkaufen in der Schweiz
Trotz aller Erklärungen und Rechtfertigungen – die Kampagne sorgt unter Schweizer Tierschützern für Entsetzen.
Die Zürcher Organisation «Ärztinnen und Ärzte für Tierschutz in der Medizin» kritisiert in einer Mitteilung: Die Kampagne «steht in krassem Widerspruch zu einer weltweiten Entwicklung» hin zu tierfreien Forschungsmethoden.
Dass sich Schweizer Tierfreunde gegen etwas stellen, das in der EU passiert, kommt nicht von ungefähr.

Markus Deutsch ist Hausarzt in Hinwil ZH und im Vorstand der Tierschutzorganisation. Er erklärt bei Nau.ch: «Praktisch alles, was Sie in der Schweiz kaufen, wurde in aller Regel im Ausland getestet.»
Ob Medikamente, Unkrautvernichter, Motorenöl, Babyshampoo – das meiste stamme von internationalen Grosskonzernen. «Die testen so gut wie nie in der Schweiz.»
Schweiz soll schwere Hundeversuche «einfach ausgelagert» haben
Trotzdem: Wie eine Anfrage von Nau.ch beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV zeigt, gibt es auch hierzulande jährlich Hunderte Hundeversuche.
2023 wurden laut BLV 1926 Tierversuche an Hunden durchgeführt, im Jahr vorher 2056, 2021 3045 und 2020 sogar 4594.

Die meisten bedeuteten für die Tiere allerdings keine Belastung. Pro Jahr wurden mehrere hundert Versuche mit leichter Belastung durchgeführt und vereinzelt solche mit mittlerer Belastung.
Hundeversuche, die die Tiere einer schweren Belastung aussetzen, gab es in den letzten Jahren keine mehr.
Tierschützer Deutsch betont jedoch, diese Versuche seien ab 2016 «einfach ins Ausland ausgelagert worden».
Dutzende Hunde erholen sich nicht mehr von Versuchen
Tatsächlich finden in der EU noch zahlreiche belastende Hundeversuche statt. Die neuesten Zahlen aus dem Jahr 2022 zeigen laut der EU-Statistik Alures Database: In dem Jahr wurden 3745 Tierversuche von mittlerer und starker Belastung an Hunden durchgeführt.
In 80 Fällen konnten sich die Tiere nicht mehr von den Versuchen erholen. Das entspricht 0,6 Prozent aller Hundeversuche in dem Jahr.

Nathalie Huber von der Universität Zürich (UZH), die Mitglied ist bei der EARA, erklärt gegenüber Nau.ch: «Die grosse Mehrheit der Tierversuche an der UZH wird an Mäusen und Ratten durchgeführt.»
2023 seien nur knapp 0,6 Prozent Hunde betroffen gewesen. «Und dies in den meisten Fällen im Schweregrad 0, bei dem das Tier keine Schmerzen, Schäden oder Ängste erleidet.»
Und: «Alle Studien, die an der UZH mit Hunden durchgeführt werden, kommen Hunden zugute.» Forschung mit Tieren solle, wo immer möglich, durch tierversuchsfreie Methoden ersetzt werden.
Novartis: «Tierversuche weiterhin Teil unserer Arbeit»
Der Pharmakonzern Novartis, ebenfalls EARA-Mitglied, bestätigt: «Tierversuche sind weiterhin Teil unserer Arbeit.»
Sie würden durchgeführt, «um Millionen von Patientinnen und Patienten weltweit sichere, wirksame und transformative Medikamente zur Verfügung zu stellen».
Novartis erfülle «die höchsten Tierschutzstandards». Man treibe zudem Innovationen voran, um Tierversuche möglichst zu reduzieren, zu ersetzen und so schonend wie möglich zu gestalten.
Das BLV kann keine Angaben dazu machen, ob die schweren Hundeversuche in der Schweiz zurückgegangen sind, weil sie ausgelagert wurden.
Tester bevorzugen «gutmütigen» Beagle
Bitter: Für die Hundeversuche werden gezielt Rassen verwendet, die für ihre liebe Art bekannt sind.
«Der klassische Versuchshund ist der Beagle, da er gutmütig, klein und handlich ist. Es werden aber auch Golden Retriever und andere Rassen verwendet», schreibt Deutschs Tierschutzorganisation.
Auch die Tierversuchslobby EARA zeigt in ihrer Hundeversuchs-Kampagne zahlreiche Bilder von glücklichen Beagles.

Es gab allerdings sowohl in Europa als auch in den USA immer wieder Vorwürfe, die Versuchstiere würden gequält.
In der US-Testinstitution Ridglan Farms sollen an den Tieren zum Beispiel Augen-Operationen ohne Betäubung durchgeführt worden sein. Darüber berichten lokale Medien.
2023 legten zudem Recherchen des NDR offen, dass in deutschen Laboren zahlreiche illegale Tierversuche stattfinden.

Die Rede war von unnötig getöteten Affen und Tieren in so schlechtem Zustand, dass sie eigentlich hätten erlöst werden müssen.
Lippenstift und Co. dürfen nicht getestet werden
Aber was genau wird eigentlich an den Hunden getestet?
Tierschützer Deutsch erklärt: «Am häufigsten werden Hunde eingesetzt zur Prüfung von Pestiziden und neuen chemischen Stoffen, auch Medikamenten.»
Immerhin: Lifestyle-Produkte wie Lippenstift oder Hautcreme dürfen in der EU nicht an Tieren getestet werden.
«Wenn es solche Versuche doch gibt, dann, weil beispielsweise Botox auch als Medikament eingesetzt werden kann.» Bei Botox würde es allerdings Mäuse treffen, nicht Hunde, sagt Deutsch.
Maus und Affe – der Hund ist das Zwischending
Dass ausgerechnet Hunde – für viele Menschen das Lieblingstier – als Versuchstiere so beliebt sind, hat laut Deutsch verschiedene Gründe.
Wichtige Punkte sind Kosten, Übertragbarkeit der Resultate auf den Menschen und Ethik.

Wie der Tierschützer erklärt, wären Mäuse eigentlich am günstigsten und am leichtesten zu halten. «Es folgt dann aber die Frage: könnte es sein, dass der Versuch bei einem anderen Tier andere Resultate gibt?»
Affen zum Beispiel wären dem Menschen entwicklungsgeschichtlich am nächsten. Für die Tester haben sie laut Deutsch aber den Nachteil, dass sie deutlich teurer sind.
«Affen sind zudem genau wegen dieser Nähe zum Menschen ethisch am unzulässigsten.»
Die Folge: Man sucht ein Zwischending – günstiger als der Affe, näher am Menschen als die Maus. Hier kommt der Beagle ins Spiel.
«Er ist nicht zu teuer und hat eine handliche Grösse», zählt Deutsch auf. «An ihm kann unkompliziert operiert werden und er hat einen freundlichen und geduldigen Charakter.»
Tierschützer pocht auf Alternativen
Trotz dieser Argumente bemängelt der Hausarzt: «Tatsache ist, dass der Hund biologisch weit vom Menschen entfernt ist und sehr unzuverlässige Resultate liefert.»
Heute gebe es zahlreiche Alternativen.
«Frage an Sie: Angenommen, Sie brauchen ein neues Medikament, bei dem noch nie getestet wurde, ob es beim Menschen die Leber angreift. Was möchten Sie lieber: dass das Medikament an einem Hund getestet wird oder an einem Präparat mit menschlichen Leberzellen?»
Für Deutsch ist klar: «Ich würde menschliche Leberzellen vorziehen. Dass diese zuverlässigere Resultate liefern, ist übrigens bewiesen worden!»
Tierversuchs-Organisation: Hundeversuche «einzige Möglichkeit»
Anders sieht das die Tierversuchs-Organisation European Animal Research Association.
EARA-Geschäftsführer Kirk Leech erklärt bei Nau.ch: Nach EU-Recht sei es vorgeschrieben, Hunde einzusetzen, um die Sicherheit von Arzneimitteln für den Menschen zu prüfen.
Hundeversuche «sind derzeit die einzige Möglichkeit, die Gesundheit und Sicherheit neuer Medikamente und Behandlungen für den Menschen zu gewährleisten».
Die Behauptungen der Tierschutzorganisation entsprächen nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft.
Könne eine tierversuchsfreie Methode verwendet werden, sei es gesetzlich vorgeschrieben, diese anstelle eines Hundes zu verwenden.
«Dadurch wird sichergestellt, dass der Einsatz von Hunden auf ein absolutes Minimum beschränkt wird», betont Leech.
Von Tierquälerei will die Organisation nichts wissen.
Die Tester hätten selbst ein Interesse daran, die Hunde tierfreundlich zu behandeln. «Es ist wichtig, dass sie in bestmöglicher Verfassung gehalten werden, um möglichst zuverlässige wissenschaftliche Ergebnisse zu erzielen.»