Bund will Einreise aus Corona-Mutationsgebieten stoppen
Testpflichten, Quarantäne, Grenzkontrollen: Die Bundesregierung hat die Einreise nach Deutschland schon erheblich erschwert. Für fünf Länder soll sie nun fast ganz verboten werden - darunter auch zwei EU-Mitglieder.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Bundesregierung will die Einreise aus den Verbreitungsgebieten besonders gefährlicher Corona-Varianten weitgehend stoppen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte am Rande eines EU-Innenministertreffens, es müsse innerhalb der Bundesregierung nur noch geklärt werden, welche Ausnahmen man zulässt. Eine Entscheidung soll bis zu diesem Freitag fallen. Betroffen wären derzeit fünf Länder, die von der Bundesregierung als Mutationsgebiete eingestuft sind: Grossbritannien, Irland, Portugal, Südafrika und Brasilien.
Deutsche, die sich derzeit in betroffenen Ländern aufhalten, sollen laut Seehofer nach Hause zurückkehren können. «Da ist wohl die Möglichkeit einzuräumen», sagte er. Heikel an der Einreisesperre ist, dass Deutschland sie im Alleingang - unabhängig von einer EU-Regelung - durchziehen will.
DEUTSCHLAND «WIRD KEIN GEFÄNGNIS»
Seehofer hatte die Diskussion über weitere Einreiseverschärfungen bereits am Dienstag ins Rollen gebracht. Die Bundesregierung prüfe «die Reduzierung des Flugverkehrs nach Deutschland auf nahezu Null», sagte er der «Bild». Jetzt stellte er klar, dass zur Bekämpfung der Corona-Pandemie kein generelles Verbot von Auslandsreisen geplant sei und gab dafür rechtliche Gründe an. Verfassungsjuristen seien der Auffassung, dass es für einen solchen Schritt «noch wesentlich höhere» Hürden gebe. Deutschland «wird kein Gefängnis», betonte Seehofer in einem «Bild»-Interview.
Allerdings ist auch die Einreisesperre für fünf Länder ein weitgehender Eingriff in die Reisefreiheit. Mit Irland und Portugal sind zwei EU-Mitglieder dabei. Portugal ist zudem Teil des eigentlich grenzkontrollfreien Schengen-Raums. Alleine die Lufthansa bietet in die betroffenen Länder pro Woche 55 Hin- und 55 Rückflüge an, die meisten davon nach Grossbritannien (21 Mal hin und zurück) und Portugal (14). Aber auch nach Brasilien und Irland geht es jede Woche jeweils sieben Mal hin und zurück, nach Südafrika sechs Mal.
SEEHOFER WILL STRIKTE SPERRE: KEIN «SCHWEIZER KÄSE»
Welche Ausnahmeregelungen es geben wird, blieb zunächst unklar. Seehofer sprach sich für eine möglichst strikte Regelung aus: «Da bin ich für enge Ausnahmen, nicht für einen Schweizer Käse.» Als Beispiel für eine mögliche Ausnahme nannte er den Transport von besonders wichtigen medizinischen Gütern. Ob der Warenverkehr grundsätzlich ausgenommen werden soll, blieb aber unklar. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte dazu noch in der vergangenen Woche gesagt: «Der freie Warenverkehr steht jetzt überhaupt nicht zur Debatte.»
Nach dpa-Informationen ist in den Verhandlungen zwischen den Bundesministerien über die Ausnahmen auch die Frage relevant, was bei der Einstufung eines Nachbarlands als Mutationsgebiet passiert. Denn dann müsste beispielsweise überlegt werden, welche Regeln für Grenzpendler gelten sollten.
GRENZKONTROLLEN SIND BEREITS VERSCHÄRFT
Die Bundesregierung hatte die Einreise nach Deutschland bereits in den letzten Wochen und Monaten Schritt für Schritt erschwert. Rund 160 der 200 Länder sind inzwischen in eine von drei Kategorien von Risikogebieten eingestuft. Für die niedrigste gilt eine Testpflicht spätestens 48 Stunden nach Einreise und eine zehntägige Quarantänepflicht, von der man sich nach fünf Tagen durch einen zweiten negativen Test befreien kann.
Für fast 30 Länder in den beiden höheren Kategorien - darunter die fünf Mutationsgebiete, das Nachbarland Tschechien und mit Spanien auch das beliebteste Urlaubsland der Deutschen - wurden die Regeln in der vergangenen Woche noch einmal verschärft. Bei der Einreise aus diesen Ländern muss man nun schon bei Einreise einen negativen Test vorlegen, was an der deutsch-tschechischen Grenze zu Schlangen und Staus geführt hat.
VIRUS-MUTATIONEN SCHON IN DEUTSCHLAND ANGEKOMMEN
Für die jüngste Regelverschärfung wurden bereits die Kontrollen an Flughäfen und auch die Stichproben hinter den Landgrenzen - die sogenannte Schleierfahndung - verschärft. Seehofer betonte, dass künftig auch die Einreisesperren aus den Mutationsgebieten streng kontrolliert werden - an Flughäfen, auf der Strasse und in der Bahn. Stationäre Kontrollen an den Grenzübergängen solle es jedoch nicht geben.
Bei allen Massnahmen gehe es darum, «vor die Lage» zu kommen. «Wir müssen präventiv Massnahmen treffen, damit das Virus bei uns sich nicht stärker entfalten kann.» Alle drei als besonders ansteckend geltenden Virus-Mutationen mit Ursprung in Grossbritannien, Brasilien und Südafrika sind bereits in Deutschland nachgewiesen worden. Wie stark sie schon verbreitet sind, ist aber unklar.
NATIONALE LÖSUNG OHNE RÜCKSICHT AUF DIE EU
Seehofer sagte ausdrücklich, dass man nicht auf eine gemeinsame Entscheidung der EU warten wolle. In absehbarer Zeit sei nicht mit einer europäischen Lösung zu rechnen, die den deutschen Vorstellungen entspreche, sagte er. «Deshalb bereiten wir das jetzt national vor.» In den vergangenen Monaten hatte die Bundesregierung immer wieder betont, dass sich in der zweiten Corona-Welle Alleingänge bei Einreisebeschränkungen wie im Frühjahr nicht wiederholen sollten. Allerdings haben auch andere Länder wie Ungarn oder Dänemark schon auf eigene Faust Einreisesperren verhängt.
Die EU-Staats- und Regierungschefs waren sich in der vergangenen Woche bei ihrem Corona-Videogipfel zwar über strengere Test- und Quarantäne-Regeln für bestimmte Länder einig, von Einreisesperren war anschliessend aber keine Rede. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson warnt Deutschland und die anderen EU-Staaten nun vor zu drastischen Reiseeinschränkungen. Diese könnten die wirtschaftliche Erholung erschweren oder das Gesundheitssystem behindern. «Wir müssen einen ausgewogenen Ansatz haben.» Zugleich rate auch die EU-Kommission dringend von allen nicht nötigen Reisen ab.
MEHR ALS ZWEI DRITTEL DER DEUTSCHEN FÜR DRASTISCHE EINSCHRÄNKUNGEN
Wann genau die geplante Neuregelung in Deutschland in Kraft treten soll, ist noch unklar. Die Entscheidung werde wohl bis Freitag im sogenannten Umlaufverfahren - also ohne ein Treffen des Kabinetts - fallen, sagte Seehofer. Es ist wahrscheinlich, dass die Bundesregierung bis zum Inkrafttreten noch einen oder mehrere Tage verstreichen lässt. Bei der Einstufung neuer Corona-Risikogebiete lässt sie in der Regel einen Puffer von 24 bis 48 Stunden.
Bei einer grossen Mehrheit der Deutschen stossen Einreisebeschränkungen im Kampf gegen Corona auf Zustimmung. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov würden es 68 Prozent sogar begrüssen, den Flugverkehr nach Deutschland auf nahezu null zu reduzieren.
VIROLOGE: MUTATIONEN LASSEN SICH LEDIGLICH BREMSEN
Nach Ansicht des Virologen Alexander Kekulé wird man die Verbreitung der Virus-Mutationen durch Grenzschliessungen allerdings lediglich bremsen können. «Wir werden das aber nicht auf Dauer draussen halten können», sagte er im MDR-Aktuell-Podcast.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft begrüsste die geplante Verschärfung. «Da auf europäischer Ebene offensichtlich kein einheitlicher Konsens zu finden ist, bleibt aus nationaler Sicht keinerlei Spielraum. Jede weitere Verzögerung wäre grob fahrlässig», sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Heiko Teggatz.