Kriminologe Pfeiffer wirft Kardinal Marx schwere Fehler vor
Der Kriminologe Pfeiffer ist nicht gut zu sprechen auf Kardinal Marx, seit die geplante Zusammenarbeit zwischen ihm und der Kirche vor einigen Jahren platzte - und formuliert schwere Vorwürfe.
Das Wichtigste in Kürze
- Als der Münchner Kardinal Reinhard Marx Anfang Juni bekannt gab, sein Bischofsamt als Reaktion auf den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche aufgeben zu wollen, gab es Respektbekundungen von allen Seiten.
Das änderte sich auch nicht, als Papst Franziskus dieses Gesuch in Rekordzeit ablehnte. Der Kriminologe Christian Pfeiffer vermisst in der Diskussion um dieses abgelehnte Rücktrittsgesuch allerdings eine kritische Auseinandersetzung mit Marx' eigener Rolle im Missbrauchsskandal. «Er verschweigt, dass er die Transparenz mit Füssen getreten hat, dass er der Vorkämpfer der Intransparenz war», sagt Pfeiffer im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Persönliche Historie von Marx und Pfeiffer
Pfeiffer hat eine persönliche Geschichte mit Marx. 2011 hatte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN), dessen Chef Pfeiffer damals war, mit der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) vereinbart, eine grosse Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche durchzuführen. 2012 endete die Zusammenarbeit - laut Pfeiffer, weil die DBK die Datenbasis für die Studie selbst erheben und den Wissenschaftlern den Zugang dazu verweigern wollte.
Pfeiffer spricht heute noch von Zensur und wirft Marx vor, seinen Einfluss geltend gemacht zu haben, um die Zusammenarbeit zu verhindern. Die DBK wirft die Vorwürfe stets zurück, spricht von Datenschutz und davon, dass das «Vertrauensverhältnis» zu Pfeiffer «zutiefst erschüttert» gewesen sei.
Marx als Reformer und Kämpfer für Transparenz?
Wenn Marx nach seinem Rücktrittsgesuch heute als Reformer und Kämpfer für Transparenz auftrete, wundere ihn das, schreibt Pfeiffer in einem Artikel für die «Deutsche Richterzeitung», der am Montag erscheinen soll. «Die schweren Fehler und Versäumnisse des Kardinals dürften damit in hohem Mass zum starken Anstieg der Kirchenaustritte und zum Rückgang der Taufen beigetragen haben», heisst es darin.
Marx habe als damaliger DBK-Chef dafür gesorgt, dass die 2018 veröffentlichte MHG-Studie «keine Transparenz zur Praxis der einzelnen Diözesen ermöglichen konnte», wirft Pfeiffer ihm vor. «Doch auf einmal scheint all das keine Rolle mehr zu spielen.»
Studie von Kardinal Rainer Maria Woelki
Nach Ansicht Pfeiffers hat der umstrittene Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki mit der Veröffentlichung seiner Studie mehr zu tatsächlicher Transparenz beigetragen als Marx, für dessen eigenes Münchner Bistum ein Gutachten erst im Laufe dieses Jahres erwartet wird, während ein erstes aus dem Jahr 2010 nach wie vor unter Verschluss gehalten wird.
Das neue Münchner Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) soll die Jahre 1945 bis 2019 untersuchen. Basis sollen die Ergebnisse aus dem unveröffentlichten Gutachten sein sowie alle neuen Akten von 2010 bis Ende 2019. Die Prüfung möglicher Täter wird von vor allem Klerikern ab 2010 auf weitere hauptamtliche Mitarbeiter ausgeweitet - ebenso auf für das Erzbistum tätige Ordensleute. Die Prüfung soll bis in die Kirchenspitze reichen. Einer der Vorgänger von Marx war von 1977 bis 1982 Kardinal Joseph Ratzinger, der heute emeritierte Papst Benedikt.
Marx selbst hat - den Vorwürfen von Pfeiffer zum Trotz - eigene Fehler in seiner Zeit als Bischof von Trier inzwischen bereits eingeräumt. Dabei geht es um einen Priester, gegen den mehrere Vorwürfe sexueller Gewalt vorliegen.
Marx räumt Fehler ein
«In der Tat sind im Verlauf der Bearbeitung dieses Falles Fehler passiert, sowohl im Umgang mit Betroffenen als auch in der Handhabung der Bearbeitung. Die damals und heute im Bistum Verantwortlichen haben dies mehrfach öffentlich eingeräumt und ausdrücklich bedauert», liess Marx gemeinsam mit dem heutigen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Georg Bätzing, und dem DBK-Missbrauchsbeauftragten Stephan Ackermann mitteilen, die alle in den Fall involviert waren.
«Aus heutiger Sicht hätte ich veranlassen müssen, dass wir - auch um zu prüfen, ob der Vorwurf auch kirchenrechtlich verjährt ist - als Bistum die Akte der Staatsanwaltschaft anfordern und die Vorwürfe in einer eigenen kirchenrechtlichen Voruntersuchung verfolgen», räumte Marx kürzlich in der «Zeit»-Beilage «Christ & Welt» ein. «Mein Verhalten damals bedauere ich sehr.» Auf die Frage, ob er Taten hätte verhindern können, antwortete Marx: «Die Frage geht auch mir nach.»
Tatsächlich sieht auch Pfeiffer «Signale, dass er anderen Sinnes werden will», wie er der dpa sagt. «Vielleicht hat sich hier einer vom Saulus zum Paulus gewandelt.» Jetzt komme es aber auf Taten an, betont der Kriminologe - und darauf, ob Marx die angekündigte Studie, die auch herausarbeiten soll, ob Missbrauchstäter womöglich geschützt wurden, tatsächlich veröffentlichen lässt. «Daran muss man ihn jetzt messen: Kriegen wir Transparenz hin in München und Freising?»
«Die Sicht von Herrn Pfeiffer und die Rolle von Kardinal Marx kann ich nicht bewerten», sagt der Eichstätter Theologe Martin Kirschner. Aber: «Es wird für ihn sicherlich eine Herausforderung sein, die Haltung, wie sie in dem Rücktrittsangebot zum Ausdruck kommt, auch in der Verantwortung als Erzbischof von München Freising durchzuhalten, Transparenz zuzulassen, die Opfer zu hören, zu erkennen, was daraus folgt, und das dann auch umzusetzen.»