Johnson hebt letzte Corona-Regeln in England auf
In England gab es bereits so gut wie keine Corona-Regeln mehr. Nun streicht Premier Johnson auch die letzte Vorschrift und erfüllt damit eine Forderung seiner Konservativen Partei. Experten sind entsetzt.
Das Wichtigste in Kürze
- Als Teil seines Plans für ein «Leben mit Covid» hebt der britische Premierminister Boris Johnson die letzten staatlichen Corona-Regeln in England auf.
Dazu gehört vor allem, dass sich vom 24. Februar an Menschen nach einem positiven Corona-Test nicht mehr isolieren müssen.
Die Regierung setze darauf, dass sich Infizierte in Selbstverantwortung wie Menschen mit einer Erkältung verhalten, sagte Johnson. «Lassen Sie uns lernen, mit diesem Virus zu leben und uns und andere weiterhin schützen, ohne dass wir unsere Freiheiten einschränken.»
Johnsons Konservative Partei nahm die Ankündigung begeistert auf. Experten und die Opposition kritisierten das Vorhaben hingegen als schlecht durchdacht. Die Ankündigung wurde zudem von der Corona-Infektion von Queen Elizabeth II. (95) überschattet.
Johnson: Höhepunkt der Omikron-Welle überschritten
Der Premier verwies zur Begründung auf die stark abnehmende Zahl der Neuinfektionen, Todesfälle und Krankenhauseinweisungen. Dies sei der erfolgreichen Impfkampagne zu verdanken. Der Höhepunkt der Omikron-Welle sei zudem überstanden, sagte Johnson. Er betonte, das Ende der Corona-Regeln werde die Wirtschaft entlasten.
Vom 1. April soll es zudem keine kostenlosen Tests mehr geben. Die Regierung habe dafür rund 15,7 Milliarden Pfund (18,8 Mrd Euro) ausgegeben, sagte Johnson. Dieses Geld könne nun für andere Vorhaben eingesetzt werden. Es sei vielmehr Zeit, sich das Selbstvertrauen zurückzuholen.
Zuvor hatte Johnson bereits so gut wie alle Corona-Regeln aufgehoben, etwa die Maskenpflicht oder Abstandsregeln. Schottland, Wales und Nordirland entscheiden eigenständig über ihre Massnahmen und gehen oft einen etwas vorsichtigeren Weg als England, das keine eigene Regionalregierung hat.
Tory-Hardliner haben seit Wochen ein Ende der Corona-Regeln gefordert. Die Opposition nannte die Pläne halb gar und warf Johnson vor, mit der Ankündigung parteiinterne Gegner wieder auf seine Seite ziehen zu wollen. «Der Premierminister versucht, den Sieg zu erklären, bevor der Krieg vorbei ist», sagte der Labour-Gesundheitspolitiker Wes Streeting. Damit wolle Johnson von den Polizeiermittlungen in der «Partygate»-Affäre ablenken. Der 57-Jährige wird wegen des Skandals um Lockdown-Partys in der Downing Street auch von Politikern aus den eigenen Reihen zum Rücktritt aufgefordert.
Der Premier betonte, die Pandemie sei noch nicht vorbei und neue Virusvarianten seien nicht auszuschliessen. Daher sollen vor allem ältere und besonders gefährdete Menschen weiter geschützt werden. Gesundheitsminister Sajid Javid kündigte eine weitere Impfung - einen «Frühlingsbooster» - für über 75-Jährige, Bewohner von Altenheimen sowie über Zwölfjährige mit Immunschwächen an.
Auch bei Experten stiessen Johnsons Pläne auf Kritik. «Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist», sagte der Mediziner Azeem Majeed vom Imperial College London der Deutschen Presse-Agentur. «Aber wenn die Leute weiterhin vernünftig sind und sich weiter isolieren, wenn sie Symptome haben, werden die Auswirkungen erstmal überschaubar sein.»
Sorge vor Herbst und Winter
Grössere Sorgen macht sich der Experte für öffentliche Gesundheit mit Blick auf den nächsten Herbst und Winter, wenn nicht nur Viren Hochsaison haben, sondern auch die Immunität vieler Menschen durch Impfungen oder vorherige Infektionen abnimmt und dann Infizierte «frei zirkulieren».
Eine Gruppe von Wissenschaftlern, die auch für das Beratungsgremium Sage arbeitet, warnte, das Ende von Isolationspflicht und frei verfügbaren Schnelltests könne zu «einer Rückkehr zu einem rapiden epidemischen Wachstum» führen. Die Modellierer teilten mit, die Infektionen könnten dadurch um 25 bis 80 Prozent zunehmen. Den an der Universität Warwick berechneten Modellierungen zufolge tragen Massnahmen wie Isolation, Testen und Maskentragen sowie verstärktes Arbeiten von zu Hause dazu bei, das Ansteckungsrisiko um 20 bis 45 Prozent zu reduzieren.