Städte unter Beschuss - Fluchtkorridore aus Sumy geplant
Ukrainische Städte werden in der Nacht weiter beschossen. Die Flucht gestaltet sich weiterhin als schwierig. Aus der eingeschlossenen Stadt Sumy sind drei Fluchtkorridore zur Evakuierung geplant.
Das Wichtigste in Kürze
- Ukrainische lokale Behördenvertreter haben in der Nacht zu Donnerstag aus mehreren Städten Beschuss gemeldet.
Russische Flugzeuge hätten die Umgebung der nordostukrainischen Grossstadt Sumy bombardiert.
Das schrieb der Chef der Gebietsverwaltung von Sumy, Dmytro Schywyzkyj, auf Telegram. In der Stadt Ochtyrka südlich von Sumy seien erneut Wohngebiete beschossen worden. Es gebe zudem Informationen, dass dort auch eine Gasleitung getroffen worden sei.
Der Bürgermeister der südukrainischen Stadt Mykolajiw berichtete ebenso von Beschuss durch Mehrfachraketenwerfer, aus nördlicher Richtung kommend. «Entweder sie testen die Robustheit unserer Kontrollpunkte, oder sie bereiten sich auf eine Offensive vor», sagte Bürgermeister Olexandr Senkewitsch in einem Live-Video auf Facebook. Er rief die Menschen dazu auf, im Keller zu übernachten. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen.
Drei Fluchtkorridore aus Sumy geplant
Für Donnerstag sind einem ukrainischen Behördenvertreter zufolge drei Fluchtkorridore zur Evakuierung von Menschen aus der Region Sumy geplant. Diese führten aus den Städten Trostjanez, Krasnopillja und Sumy jeweils in Richtung der zentralukrainischen Stadt Poltawa, teilte der Chef der Gebietsverwaltung von Sumy, Dmytro Schywyzkyj, in der Nacht im Nachrichtenkanal Telegram mit. Der Beginn der Waffenruhe für die betreffenden Routen sei für 8.00 Uhr MEZ geplant.
Schywyzkij zufolge habe man noch andere Orte der Region für Fluchtkorridore eingereicht, diese allerdings noch nicht bestätigt bekommen. Fluchtkorridore sind Routen, über die sich Zivilisten unbehelligt in Sicherheit bringen können.
Grossstadt Sumy ist eingeschlossen
Sumy ist laut Angaben des britischen Verteidigungsministeriums eingeschlossen. Nach Angaben von Schywyzkyj sind am Dienstag und Mittwoch fast 50.000 Menschen aus Sumy hinausgekommen. Am Mittwoch alleine hätten rund 10.000 Privatautos und 85 Busse die Stadt verlassen, insgesamt rund 44.000 Menschen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Mittwochabend erklärt, für Donnerstag seien sechs Fluchtkorridore geplant. Es war zunächst unklar, ob die drei in der Region Sumy zu diesen sechs hinzukommen oder diese schon eingeschlossen sind. Bisher ist die Bilanz für die humanitären Korridore durchwachsen. Vor allem um die Evakuierung der südukrainischen Hafenstadt Mariupol wird seit Tagen gerungen. Mehrere Anläufe seit Sonntag waren gescheitert, vereinbarte Feuerpausen hatten nicht gehalten.
Russischer Angriff auf Geburtsklinik
Die Ukraine hatte Russland am Mittwoch einen Angriff auf eine Geburtsklinik in der umkämpften Hafenstadt Mariupol vorgeworfen. Selenskyj veröffentlichte via Twitter ein Video, das völlig verwüstete Räume der Klinik zeigen soll.
Demnach müssen eines oder mehrere Geschosse oder Bomben im Hof des Klinikkomplexes eingeschlagen sein. Die Druckwelle zerstörte Scheiben, Möbel und Türen, wie im Video zu sehen ist. Das Gelände rund um das Gebäude am Asowschen Meer im Südosten des Landes war mit Trümmern übersät.
Von russischer Seite lag zunächst keine Stellungnahme vor. Moskau betont stets, keine zivilen Ziele zu attackieren.
«Angriff russischer Truppen auf die Entbindungsstation. Menschen, Kinder sind unter den Trümmern», schrieb Selenskyj. Die strategisch wichtige Hafenstadt wird seit Tagen von russischen Truppen belagert. Nach Angaben der lokalen Behörden wurden mehrere Bomben abgeworfen. Das liess sich nicht unabhängig überprüfen.
UN-Chef verurteilt Angriff auf Klinik in Ukraine
UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte die Russland zugeschriebene Attacke auf die Geburtsklinik. «Der heutige Angriff auf ein Krankenhaus in Mariupol, Ukraine, wo sich Entbindungs- und Kinderstationen befinden, ist entsetzlich», schrieb Guterres auf Twitter. Zivilisten zahlten den höchsten Preis für einen Krieg, der nichts mit ihnen zu tun habe. «Diese sinnlose Gewalt muss aufhören.»
Auch die britische Regierung verurteilte den mutmasslichen Angriff auf das Schärfste. «Es gibt wenige Dinge, die verkommener sind, als die Verletzlichen und Hilflosen ins Visier zu nehmen», schrieb Premierminister Boris Johnson auf Twitter.
Die britische Aussenministerin Liz Truss sprach bei einer Pressekonferenz im Anschluss an ein Gespräch mit ihrem US-Kollegen Antony Blinken von einem «abscheulichen, skrupellosen und entsetzlichen» Angriff.
Wladimir Klitschko unterstützt seinen Bruder
In der Ukraine sagte der Boxer Wladimir Klitschko, der seinen als Bürgermeister in Kiew tätigen Bruder Vitali Klitschko unterstützt, mit Blick auf die Lage in Mariupol: «Ihr müsst Putins Krieg stoppen!» Russische Truppen töteten Kinder, Eltern und Grosseltern. «Mein Herz blutet», sagte er in einer bei Instagram veröffentlichten Videobotschaft. «Kinder anzugreifen bedeutet, das Leben anzugreifen, die Zivilisation selbst.»
Im Weissen Haus erklärte US-Präsident Joe Bidens Sprecherin Jen Psaki mit Blick auf die Berichte zu dem Angriff in Mariupol: «Es ist schrecklich, in einem unabhängigen Staat diese Art von barbarischer Anwendung militärischer Gewalt gegen Zivilisten zu sehen.»
UN-Menschenrechtskommissarin: 516 Zivilisten getötet
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat in der Ukraine seit dem Einmarsch Russlands den Tod von 516 Zivilisten dokumentiert. Darunter waren 37 Minderjährige, wie das Büro in Genf berichtete. Dem Büro lagen zudem verifizierte Informationen über 908 Verletzte vor, darunter 50 Minderjährige.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, betont stets, dass die tatsächlichen Zahlen mit Sicherheit deutlich höher lägen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchten oft Tage, um Opferzahlen zu überprüfen. Das Hochkommissariat gibt nur Todes- und Verletztenzahlen bekannt, die es selbst unabhängig überprüft hat.
«Die meisten Opfer unter der Zivilbevölkerung wurden durch den Einsatz von Explosivwaffen mit grosser Reichweite verursacht, darunter durch den Beschuss mit schwerer Artillerie und mit Raketenwerfern sowie durch Raketen- und Luftangriffe», teilte Bachelets Büro mit.