Leistungsniveau von Viertklässlern wegen Schulschliessungen spürbar gesunken
Die Folgen der Schulschliessungen in der Coronakrise haben das Leistungsniveau von Viertklässlerinnen und Viertklässlern in Deutschland in den Fächern Deutsch und Mathematik spürbar gesenkt.
Das Wichtigste in Kürze
- Erhebung für Kultusministerkonferenz - Verbände sehen längerfristige Ursachen.
Zu diesem Ergebnis kommt eine am Freitag von der Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder veröffentlichte Vorabauswertung des so genannten IQB-Bildungstrends 2021. Er erfasst den Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern am Ende der Grundschulzeit.
Nach Angaben der KMK stieg die Zahl der Kinder, die die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik verfehlen, im Vergleich zu den IQB-Berichten aus den Jahren von 2011 und 2016 «teilweise deutlich» an. Die aktuelle Erhebung lief vor den Sommerferien des vergangenen Jahres. An ihr nahmen demnach knapp 29.000 Schülerinnen und Schüler an rund 1500 Schulen teil.
Laut Vorabauswertung bestätigte der aktuelle IQB-Bildungstrend ausserdem einen ebenfalls aus anderen Erhebungen bekannten Umstand, wonach schon mit Lernproblemen kämpfende Kinder unter Lockdown und Unterrichtsausfall besonders litten. Die Kultusminister der Ländern werteten die Ergebnisse der neuen Studie als Beleg für die Bedeutung des Präsenzunterrichts und forderten vom Bund die Verlängerung seines so genannten Aufholprogramms.
Laut Vorauswertung verfehlte jeweils knapp ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler die bundesweit verbindlich festgelegten Mindeststandards im Lesen und Zuhören, im Bereich Rechtschreibung war es sogar beinahe ein Drittel. Auch im Bereich Mathematik gilt dieses für etwa ein Fünftel.
Demnach lässt sich die Lage allerdings nicht ausschliesslich nur durch die Folgen der Coronamassnahmen erklären, da der Trend bereits seit 2011 vielfach negativ ist. So war die Zahl der Kinder, die Mindeststandards in den Bereichen Zuhören und Mathematik verfehlte, auch zwischen 2011 und 2016 gestiegen. Die Steigerungsrate war aber viel weniger ausgeprägt.
Nach Angaben der KMK lag der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Mindestanforderungen beim Lesen nicht erfüllten, im Jahr 2011 bei 12,4 Prozent. Im vergangenen Jahr waren es 18,8 Prozent. In Mathematik stieg der Anteil von 11,9 Prozent 2011 auf 21,8 Prozent im vorigen Jahr.
Ebenso rückläufig war langfristig zugleich der Anteil der Mädchen und Jungen, die den definierten Regelstandard erreichten. Im Bereich Lesen sank er zwischen 2011 und 2021 von 66,7 Prozent auf 57,6 Prozent, im Bereich Mathematik von 67,9 Prozent auf nur noch 54,8 Prozent. Das bedeutet, dass jeweils annähernd die Hälfte der Viertklässlerinnen und Viertklässler die als normal angesehenen Fähigkeitsstand nicht erreicht.
«Die IQB-Studie bestätigt erneut die Zweifel vieler Kultusminister, dass der deutsche Corona-Sonderweg mit den meisten Schulschliessungen aller westeuropäischen Länder wirklich richtig war», erklärte der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD). Der Bund müsse das von ihm aufgelegte Corona-Aufholprogramm aufstocken und verlängern. Das Programm stellt zwei Milliarden Euro für Fördermassnahmen im Kita- und Schulbereich bereit.
Nach Worten der KMK-Vorsitzenden, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), belegen die Ergebnisse die Bedeutung von «schulischem Lernen» für gerechte Bildung. «Die Schülerinnen und Schüler brauchen den Präsenzunterricht in der Schule und langfristig angelegte Massnahmen, um die pandemiebedingten Lernrückstände aufzuholen», erklärte Prien weiter. Die Länder hätten den Bund gebeten, sein Aufholprogramm um 500 Millionen Euro aufzustocken und bis Ende des Schuljahrs 2023/2024 zu verlängern.
Bildungsgewerkschaften reagierten alarmiert, verwiesen aber zugleich vor allem auf die längerfristigen Trends. Niemand komme «um die Feststellung herum, dass die Bildungspolitik ihre in den Bildungsstandards selbst formulierten Ziele in zunehmendem Masse haushoch verfehlt», erklärte der Chef der Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach insbesondere mit Blick auf die Kopplung von Leistungsstand und sozialer Herkunft von laut läutenden «Alarmglocken». Die Entwicklung sei auch nicht mit den Unterrichtausfällen in der Pandemie zu erklären, teilte GEW-Vorstand Anja Bensinger-Stolze mit. «Wir müssen von einem allgemeinen Trend sprechen.» Schuld daran sei auch ein «dramatischer Lehrkräftemangel».