Mit Reimen zur Leselust: Wie Kinder Literatur lieben lernen
Schüler finden Lesen mitunter langweilig. Doch es gibt einen Weg, Kindern und Jugendlichen Lust auf Literatur zu machen.
Das Wichtigste in Kürze
- In einer Münchner Bibliothek trifft sich Christine Knödler mit Schülern zu Lyrik-Workshops.
Oft liest die Herausgeberin von Kinder- und Jugendliteratur am Anfang erstmal ein schweres Gedicht vor. Die Expertin will die Kinder und Jugendlichen damit bewusst überfordern, um später Berührungsängste abzubauen.
Zum Welttag der Poesie (21. März) erklärt Knödler, wie sie Lust auf Literatur macht. Insbesondere die Lyrik sei eine «kreative Spielwiese». Dazu zählen Gedichte, deren Vorteil nach Worten der ehemaligen Lehrbeauftragten an der Universität München der Aufbau mit Strophen oder Reimen ist. Das bringe einen spielerischen Charakter, so die Expertin. Daneben gibt es in der Poesie zwei weitere Gattungen: Die Epik - etwa mit Romanen - und die Dramatik.
Losgelöst und unbefangen
Knödler ist überwältigt davon, wie gut Schüler Gedichte selbst in Worte fassen können. Das funktioniere, wenn sie die Kinder losgelöst von Regeln unbefangen erzählen lasse. Dann könnten sie auch das schwere Gedicht beschreiben, das sie zu Beginn nicht verstanden haben.
In der Schule dagegen gibt es ein striktes Muster, Kinder an das Verständnis von literarischen Texten wie Gedichte, aber auch Romane, Kurzgeschichten oder Theaterstücke heranzuführen. In einem langen Analyse-Text werden oft Punkte wie Autor, Inhalt, Reimschema, Inhaltsangabe oder Anzahl der Strophen abgearbeitet.
Bei Knödler sollen die Kinder selbst aktiv werden. «Der beste Zugang zur Lyrik ist es, sie selber zu machen», sagt sie. Deshalb lässt sie Kinder und Jugendliche Gedichte schreiben. Ihre Vorstellung sei, dass die Schüler mögliche Stilmittel selbst in einem Gedicht ausprobieren, um sie zu erkennen, erklärt die Herausgeberin mehrerer Kinderbücher.
Epische Texte
Über den Umgang von Schülern mit epischen Texten berichtet die Bochumer Lehrerin Özlem Öztürk-Gerkensmeier. Auch sie beobachtet, dass ihre Schüler besonders kreativ sind, wenn sie frei schreiben dürfen. Ein Beispiel: Die Pädagogin gibt ihren Schülern die Aufgabe, einer Romanfigur einen Brief zu schreiben. Wenn Schüler keine Lust auf Pflichtlektüre haben, kann das ein kreativer Weg sein. Die Lehrerin hat bemerkt, dass dabei sogar die alte Sprache klassischer Literatur übernommen wurde.
Norbert Kruse, Professor für Deutschdidaktik in Kassel, sieht ebenso einen «kreativschreibenden Umgang» mit literarischen Texten als eine der wichtigsten Methoden, um Literatur zu vermitteln. Das erklärt er in einem Beitrag auf der Wissensplattform .
In der Schule kommen solche Schreibübungen nach Worten von Öztürk-Gerkensmeier viel zu kurz. Im Lehrplan fehlt es vor allem bei Abiturklassen schlicht an Zeit, um einen solchen kreativen Zugang zur Literatur zu ermöglichen. Das Fazit der Lehrerin aus Bochum: Am Schulsystem müsse sich etwas ändern, damit mehr Zeit dafür bleibt.
Klassische Bilder heute
Aber auch der Konsum klassischer Literatur könne Kinder in Erstaunen versetzen. Die titelgebende Figur «Die Marquise von O...» aus dem Werk von Heinrich von Kleist, die ihren Vergewaltiger heiratet, sorgte bei Öztürk-Gerkensmeiers Schülern für grosse Verwirrung.
Wichtig und prägend sei der Vergleich zwischen damals und heute, erklärt Knödler. Ein anderes Beispiel: Effi Briest aus dem gleichnamigen Roman von Theodor Fontane, die einen reichen Mann heiraten will, weil es in der Gesellschaft eben so gemacht wird, können die Schüler mit dem Frauenbild von heute vergleichen.
Christine Knödler hat im Vergleich zur Schule mit ihren Lyrik-Workshops einen entscheidenden Vorteil: Sie muss den Kindern keine Noten geben. Dass Noten immer von mehreren Faktoren abhängig sind, zeigt auch ein Experiment des mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Sa?a Stani?ic. Unter einem Pseudonym schrieb er eine Abiturprüfung über seinen eigenen Roman «Vor dem Fest», den er als Autor in- und auswendig kennt. Ergebnis: 13 Punkte - eine Eins minus.