Müllwagenfahrer nach Unfalltod von Elfjähriger verurteilt
Esra wollte bei grüner Fussgänger-Ampel die Strasse überqueren, als sie ein Müllfahrzeug erfasste. Das Mädchen starb auf dem Schulweg in der Nähe ihres Zuhauses. Was ist eine gerechte Strafe für den Unfallverursacher?
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Müllwagenfahrer trägt die Schuld am Unfalltod der elfjährigen Esra: Der 36-Jährige wurde heute wegen fahrlässiger Tötung vom Amtsgericht Lehrte zu einer Geldstrafe von 2.700 Euro verurteilt.
«Esra ist bei Grünlicht auf die Strasse getreten», sagte Richterin Isabell Würfel.
Der Verlust für die Familie sei durch keine Strafe zu kompensieren. Das Mädchen habe nichts falsch gemacht. Der Angeklagte hätte sie zumindest vor dem Abbiegen an der Kreuzung in Lehrte bei Hannover sehen müssen.
Esras Eltern und ihre drei erwachsenen Brüder hatten vor der Urteilsverkündung aus Protest den Saal verlassen, weil sie mit einer aus ihrer Sicht zu milden Strafe rechneten. Am ersten Verhandlungstag hatten die Eltern als Nebenkläger Fotos ihrer getöteten Tochter gezeigt, die Mutter trug ihren Schulrucksack. An der Unfallkreuzung haben sie einen Gedenkstein aufgestellt - als Mahnung für andere Lkw-Fahrer. Nach dem Plädoyer ihres Rechtsanwaltes sprachen sie persönliche Worte.
«Ein Menschenleben ist nicht mit Geld zu ersetzen», sagte die Mutter. Sie beschrieb das Leiden ihrer Familie seit dem 18. Januar 2019 - Esra starb einen Tag nach ihrem elften Geburtstag. «Sie hatte für das Wochenende Freundinnen eingeladen.» Die gesamte Grundschulzeit hätten sie ihre Tochter zur Schule gebracht - «Wir waren Helikoptereltern» -, doch ab der Realschule habe sie selbstständig sein und allein gehen wollen.
Der Vater berichtete, wie er mit Esra am Grab redet. Er könnte nicht glauben, dass der Unfallfahrer den Knall, den ein Zeuge beschrieben hatte, nicht gehört habe. «Ich bin sicher, es ist Fahrerflucht.» Nach Aussage des technischen Sachverständigen ist jedoch glaubhaft, dass der Müllwagenfahrer nicht bemerkte, dass er das Kind erfasste und mitschleifte. Er war erst am Nachmittag des Unfalltages nach Hinweis seines Arbeitgebers ermittelt worden.
Unter dem Fahrzeug, das der 36-Jährige als Urlaubsvertretung gelenkt hatte, fanden sich Spuren des getöteten Mädchens. Aufgrund eines Greifarmes im Frontbereich war die Sicht an dem Müllwagen erheblich eingeschränkt. Dies erhöhte laut Gutachten allerdings die Sorgfaltspflicht des Fahrers.
«Ich würde alles dafür tun, es ungeschehen zu machen», hatte der Angeklagte - selbst Familienvater - zum Prozessauftakt gesagt. In seinem Schlusswort entschuldigte sich der Mann aus Coppenbrügge im Landkreis Hameln-Pyrmont abermals bei Esras Familie, die diese Entschuldigung aber nicht annehmen wollten. Sie sei viel zu spät gekommen.
Nach Aussage seines Verteidigers kann der 36-Jährige infolge psychischer Probleme seit dem Unfall nicht mehr als Berufskraftfahrer arbeiten. Den Führerschein benötige er, um zu seiner Therapie zu fahren. Strafmildernd wirkte sich aus, dass er nicht vorbestraft ist und bisher auch nicht negativ im Strassenverkehr aufgefallen war. (Az.: 4 Ds 27 Js 2992/19)
Mit dem Urteil folgte das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte eine Geldstrafe von 900 Euro gefordert. Das Urteil sei «angemessen und vertretbar», sagte der Rechtsanwalt des Müllwagenfahrers, Benjamin Munte, nach der Verhandlung. Der Prozess war vom Amtsgericht Lehrte in den grössten Saal des Landgerichts Hildesheim verlegt worden, um die coronabedingten Abstandsregeln einzuhalten.