Nach Attentat: «Fico ist noch nicht ausser Lebensgefahr»
Die scheidende Präsidentin und ihr Nachfolger haben alle Parteien zu einer Beratung eingeladen. Sie bitten um Zusammenarbeit.
Das Wichtigste in Kürze
- Die slowakischen Parteien beraten sich zusammen aufgrund des Anschlags auf Robert Fico.
- Der baldige Präsident Pellegrini forderte sie auf, den Wahlkampf pietätvoll zu gestalten.
- Gleichzeitig wird viel Kritik über die Sicherheitsvorkehrungen gesprochen.
- Am Donnerstag besuchte Pellegrini Fico im Spital – sein Zustand sei nach wie vor ernst.
Nach dem Attentat auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico beraten sich alle Parteien gemeinsam: Die scheidende Staatspräsidentin Zuzana Caputova und ihr gewählter Nachfolger Peter Pellegrini luden die politischen Parteien zu Beratungen ein.
«Lassen Sie uns aus dem Teufelskreis des Hasses und der gegenseitigen Beschuldigungen aussteigen», appellierte Caputova am Donnerstag in Bratislava. Der Anschlag sei zwar eine individuelle Tat gewesen. «Aber die angespannte Atmosphäre des Hasses war unser gemeinsames Werk.»
Bei der live im Fernsehen übertragenen Rede traten Caputova und Pellegrini demonstrativ gemeinsam auf. «Wir wollen in dieser angespannten Situation ein Zeichen der Verständigung setzen», betonte Caputova. Beide verurteilten erneut den Angriff auf Fico.
Pellegrini rief die politischen Parteien auf, ihren Wahlkampf vor der Europawahl am 9. Juni vorerst auszusetzen oder zumindest einzuschränken, bis sich die Lage beruhigt hat. Nach ihrer Ansprache begaben sich beide zur Sondersitzung des Sicherheitsrates im Regierungsamt.
Fico sprach selbst über die Gefahr
Pellegrini und Caputova haben sich nach Ficos dritter Amtszeit als Ministerpräsident in den Jahren nach 2018 häufig zu Gesprächen getroffen. Das fand sowohl während Pellegrinis Regierungszeit 2018 bis 2020 als Fico-Nachfolger statt, als auch in seinen Oppositionsjahren. Erst mit Pellegrinis Eintritt in die Koalition mit Fico erkaltete ihr persönliches Verhältnis.
Experten haben zudem Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen geübt. «Wenn ich mich nicht irre, hat Fico vor wenigen Wochen selbst über die Gefahr gesprochen, dass jemand auf Politiker schiessen könnte», sagte der frühere slowakische Polizeipräsident Stefan Hamran am Donnerstag der Zeitung «Dennik N».
Er frage sich, wer dies analysiert und die Gefährdungslage beurteilt habe. Zudem bemängelte er die Reaktion, nachdem die Schüsse gefallen waren: «Es herrschte dort Chaos, das ist offensichtlich und das ist ein Versagen.»
Auch der frühere Leiter der slowakischen Personenschutzeinheit, Juraj Zabojnik, rügte das Verhalten der Leibwächter des Ministerpräsidenten. «Wenn vier oder fünf Schüsse fallen können, dann ist jemand Schuld daran«, sagte er dem Nachrichtensender TA3. «Dann ist der Personenschutz wohl nicht in Ordnung.»
Er habe nicht gesehen, dass sich einer der Bodyguards vor den Regierungschef gestellt habe. Er rechne mit einer harten Untersuchung des Vorfalls, denn die Menge vor dem Kulturhaus in Handlova sei überschaubar gewesen.
Sicherheitsvorkehrungen zu lasch?
Die Behörden prüfen, ob seine Personenschützer ihn nicht ausreichend geschützt haben. Entsprechende Ermittlungen «wegen Behinderung der Aufgaben eines Amtsträgers» seien bereits am Mittwoch eingeleitet worden. Das sagte eine Behördensprecherin der Nachrichtenagentur TASR am Donnerstag.
Mehrere slowakische Experten hatten Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen geübt. Sie rügten unter anderem, dass die Leibwächter unmittelbar nach dem Attentat chaotisch vorgegangen seien.
Fico war am Mittwochnachmittag niedergeschossen worden, als er nach einer Kabinettssitzung in der Kleinstadt Handlova seine Anhänger begrüssen wollte. Nach einer mehrstündigen Operation ist sein Zustand Regierungsangaben zufolge stabil, aber weiter ernst.
Pellegrini nimmt nach Spitalbesuch Stellung
Am Donnerstag besuchte Pellegrini Fico im Spital. «Sein Zustand ist nach wie vor ernst», sagt er in Banska Bystrica. «Er ist noch nicht ausser Lebensgefahr.»
Der baldige Präsident habe nur einige Minuten mit ihm gesprochen, weil die Ärzte ihn um einen kurzen Besuch gebeten haben. «Es war ein sehr persönliches Gespräch, er war sehr müde. Es war nicht möglich, mit ihm länger oder über Politik zu sprechen, führt Pellegrini aus. Vor Fico liegen schwierige Stunden und Tage.
Weiter sagt Pellegrini, dass mit dem Attentat eine «rote Linie» überschritten worden sei. «Der Regierungschef ist dem Tod um Haaresbreite entgangen, es hätte genügt, wenn die Schusswunde oder mehrere Schusswunden ein paar Zentimeter weiter gelegen hätten, und wir müssten heute vielleicht über ganz andere Dinge reden.»
Die Spannung in Politik und Gesellschaft nehme nicht nur in der Slowakei zu, so Pellegrini. Auch in Deutschland habe es eine Attacke auf einen Politiker im Wahlkampf vor den Wahlen am 9. Juni gegeben. «Dies ist nicht nur ein Problem in der Slowakei.» Möglicherweise meinte Pellegrini den Angriff auf den Europapolitiker Matthias Ecke in Dresden Anfang Mai.