Nachfolger von Merkel laufen sich warm – das Chaos beginnt.
Die Nerven der Union liegen blank. Die CSU-Spitze sucht schon jetzt Schuldige für ein Bayern-Desaster. Kann die Kanzlerin ihre Macht erhalten?
Das Wichtigste in Kürze
- Beim Deutschlandtag präsentieren sich potentielle Nachfolger von Angela Merkel.
- Favoritin Kramp-Karrenbauer, Brinkhaus und Merkel selbst reden vor der Jungen Union.
Es ist eine Anspannung wie wohl noch nie in der Union seit Beginn der Ära Angela Merkel vor gut 13 Jahren. Zerlegt sich die CSU-Spitze nach einem Absturz bei der Bayern-Wahl in einer Woche? In der CDU-Spitze fürchten manche, dass eine kaum beherrschbare Dynamik entsteht, die auch in Berlin eine neue Regierungskrise auslöst. Und am Ende CDU-Chefin und Kanzlerin Merkel das Amt kosten könnte.
Viel Jubel für Annegret Kramp-Karrenbauer
In der CDU laufen sich am Wochenende beim Deutschlandtag der Jungen Union in Kiel schon mal drei Tage lang mögliche Nachfolgekandidaten Merkels warm. Der neuen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer geben die gut 300 Delegierten des Unions-Nachwuchses ein starkes Zeichen der Unterstützung mit auf den Weg in die schwierigen nächsten Wochen und Monate – und anderen auch. Schon bei einer JU-Party im Norwegenkai, wird Kramp-Karrenbauer am Samstagabend mit lautstarken «Annegreat, Annegreat»-Sprechchören gefeiert. Kramp-Karrenbauer kann sich vor Selfie-Bitten kaum retten.
Heute Sonntag hält sie dann eine ziemlich konservative Rede, das kommt beim Nachwuchs gut an. Die Generalsekretärin schickt eine scharfe Mahnung nach München, wo Seehofer und Söder schon eine Woche vor der Landtagswahl versuchen, sich gegenseitig die Schuld für ein mögliches Desaster in die Schuhe zu schieben. Später folgt eine Attacke gegen Recep Tayyip Erdogan – wenn der türkische Präsident nicht aufhöre, einen Keil zwischen Deutschtürken und deutsche Gesellschaft zu treiben, müsse nochmal die Abschaffung des Doppelpasses diskutiert werden. «Illoyalitäten» könne man auf Dauer nicht dulden. Die JU-ler sind begeistert.
Distanz zu Merkel
Spürbar grenzt sich Kramp-Karrenbauer auch von ihrer Förderin Merkel ab, als sie sagt, heutzutage reiche es nicht mehr aus, einfach darauf zu setzen, gute Regierungsarbeit abzuliefern. Mit guter Regierungsarbeit überzeugen – das war oft von der Kanzlerin zu hören, wenn es um Rezepte aus der Krise ging. Jetzt seien Visionen für die Zukunft gefragt, ruft die Generalsekretärin, bis sie heiser ist. Wer sich immer nur damit begnüge, den Menschen zu sagen, man habe Schlimmeres verhindert, dürfe sich nicht wundern, wenn er bei 27 Prozent stecken bleiben werde, sagt Kramp-Karrenbauer. «Wir müssen kämpfen, dass wir wieder nach oben kommen.»
Vor Kramp-Karrenbauer feiern die JU-ler minutenlang den neuen Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Manche meinen, der Westfale habe für seine inhaltlich starke Rede sogar stärkeren Jubel bekommen als die Generalsekretärin.
Angela Merkelt zeigt sich kampflustig
Jens Spahn gibt sich zupackend, aber auch staatstragend zurückhaltend. Vor Spahn und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, dem viele in der Halle eine ziemlich fahrige Rede attestieren, hat Merkel am Samstag ihren Auftritt. Merkel hält dann eine teils angriffslustige Rede, die entgegen mancher Erwartungen ziemlich gut im Saal ankommt. Die Umfragen seien ja ganz gut erklärbar, hält sie dem Nachwuchs entgegen. Sie meint den erbitterten Streit, mit dem CSU und CDU immer mehr Anhänger vergrault haben. Nun dürfe man nicht weiter «miteinander Fingerhakeln». Viele in der Halle johlen, als sie zum Schluss süffisant sagt: «Der geschäftsführende JU-Bundesvorstand: Schön männlich. Aber 50 Prozent des Volkes fehlen.» Merkel setzt noch einen drauf: «Und ich sag' Ihnen: Frauen bereichern das Leben. Nicht nur im Privaten, auch im Politischen. Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht.» Im geschäftsführenden JU-Vorstand – Vorsitzender, Stellvertreter und Schatzmeister – liegt die Frauenquote bei Null.
Dass die Kanzlerin sich selbst keine Illusionen über ihre Lage in der CDU macht, zeigt eine kleine Szene mit JU-Chef Paul Ziemiak. Merkel bekommt Wandersocken und eine Windjacke. Sie ziehe daraus die Schlussfolgerung, «dass sie mich nicht im Regen stehen lassen wollen», sagt die CDU-Chefin trocken. Gut möglich, dass Merkel da an den Wahlparteitag Anfang Dezember denkt, bei dem sie eigentlich erneut als Vorsitzende kandidieren will. Ziemlich wahrscheinlich, dass die Kanzlerin die Utensilien für stürmische Zeiten bald gut gebrauchen kann. Zwar setzen sie in der CDU-Spitze auf eine Art «Restvernunft» bei CSU-Chef Seehofer, dass er nach der Landtagswahl heute Sonntag nicht die Union, Merkel und die ganze grosse Koalition in den Abgrund reisst.
Doch selbst wenn die Union nach der Bayern-Wahl nicht ins Chaos stürzt und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am 28. Oktober die Macht verteidigt: Unklar ist, wie sich die SPD verhält.