«Nicht schlecht, sondern furchtbar»: Debakel für Sunak
Die Tory-Partei des Premierministers Rishi Sunak erleidet bei Kommunalwahlen in England eine verheerende Niederlage und steht vor dem Ende ihrer Regierung.
Von einem konservativen Kollaps ist bereits die Rede. Die Tory-Partei des britischen Premierministers Rishi Sunak steuert mit einer verheerenden Niederlage bei Kommunalwahlen in England auf das Ende ihrer Regierung zu. «Die Ergebnisse sind nicht nur schlecht für die Tories und Rishi Sunak, sie sind furchtbar», sagte der Politologe Tim Bale von der Queen Mary University of London am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Die Wahl galt als Stimmungstest für die anstehenden britischen Parlamentswahlen.
Nach Auszählung von rund einem Drittel der Kommunen droht der Partei nach Einschätzung des Wahlforschers John Curtice eines ihrer schlechtesten Ergebnisse seit 40 Jahren. «Bislang verlieren sie im Grunde die Hälfte der Sitze, die sie zu verteidigen versuchen», sagte der Professor von der Glasgower University of Strathclyde am Freitagmorgen der BBC. Wenn das so weitergehe, könnten sie am Ende etwa 500 Sitze verlieren.
Umfrage sieht Konservative nur noch bei 18 Prozent
Hinzu kam eine Pleite bei einer Nachwahl zum britischen Parlament. Sunaks Partei verlor das Mandat im nordwestenglischen Wahlkreis Blackpool South an die Oppositionspartei Labour. Der Umschwung von 26 Punkten zu den Sozialdemokraten war der drittgrösste bei einer Nachwahl seit dem Zweiten Weltkrieg.
Kommentatoren betonten, Kommunalwahlen seien nicht vergleichbar mit Parlamentswahlen. Aber auch eine nationale Umfrage des Meinungsforschungsinstitut YouGov sieht Sunaks Konservative im freien Fall. Nur noch 18 Prozent, Labour kommt demnach auf 44 Prozent. Für Labour-Chef Keir Starmer Beleg für einen Stimmungswechsel.
«Wir haben 14 Jahre des Scheiterns und des Niedergangs erlebt, und die Tories haben uns nur Chaos und Spaltung hinterlassen.» Zu denken geben dürfte Sunak auch die Konkurrenz der rechtspopulistischen Partei Reform UK, die ihm seit Längerem zusetzt. In Blackpool South landete die einstige Brexit-Partei nur gut 100 Stimmen hinter den Konservativen auf Platz drei. Auch bei den Lokalwahlen setzte Reform UK, einst von Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage gegründet, teilweise beachtliche Resultate und kostete die Konservativen zahlreiche Sitze.
Noch nicht alle Stimmen ausgezählt
Bis zum Freitagmittag waren noch nicht alle Stimmen ausgezählt. Das galt auch für einige wichtige Bürgermeisterwahlen. Während in der Hauptstadt London der Amtsinhaber Sadiq Khan von der Labour-Partei als Favorit galt – hier wird das Resultat erst an diesem Samstag erwartet –, konnten die Konservativen das Rathaus in Tees Valley im Nordosten halten.
Hoffen können sie auch auf die Region West Midlands um Birmingham. Ein Erfolg gelang den Tories zudem in Harlow. Einen Sieg in dem Ort nördlich von London hatte Labour-Chef Keir Starmer als zentral mit Blick auf die Parlamentswahl bezeichnet. Doch setzten sich die Konservativen knapp durch.
Gaza-Krieg als schwieriges Thema für Labour
Auch in Bezirken mit einer hohen muslimischen Bevölkerung musste Labour Verluste hinnehmen. Hier wird den Sozialdemokraten, die traditionell den Palästinensern nahestehen, vorgeworfen, das israelische Vorgehen im Gazastreifen nicht scharf genug zu kritisieren. Davon profitierten kleinere Parteien oder Unabhängige. Bei der Parlamentswahl dürften die Einbussen aber geringer ausfallen.
«Die Wähler lieben Labour nicht», fasste der Politologe Mark Garnett von der Universität Lancaster im dpa-Gespräch die Resultate zusammen. «Aber die Tories sind toxisch.» Seit 14 Jahren sind die Konservativen an der Macht. Doch die vergangenen Jahre mit häufigen Wechseln an der Spitze sowie dem Chaos unter Sunaks Vorgängern Boris Johnson und Liz Truss haben das Vertrauen in die Partei erschüttert.
Das Ergebnis der Kommunalwahl könnte die politische Zukunft von Sunak beeinflussen, der seit Oktober 2022 im Amt ist. Die Briten müssen spätestens im Januar 2025 ein neues Parlament wählen, der Premier hat einen Termin in der zweiten Jahreshälfte in Aussicht gestellt. Die Unsicherheit bestimmt den politischen Diskurs seit Monaten. Vor allem vom rechten Flügel war Sunak immer wieder mit einer Revolte gedroht worden, dabei spielte auch das Abschneiden bei der Kommunalwahl eine Rolle.
Wie es jetzt weitergeht für den Premier
In Grossbritannien steht nun ein langes Wochenende an. Zeit für Abgeordnete, darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll. Tory-Generalsekretär Richard Holden warnte vor unüberlegten Schnellschüssen. Tatsächlich scheint eine Revolte nicht unmittelbar.
Die Sunak-Kritikerin Andrea Jenkyns, die seit Längerem den Rücktritt des Premiers verlangt, nannte ein fraktionsinternes Misstrauensvotum der Zeitung «Times» zufolge unwahrscheinlich. Allerdings forderte sie eine Kabinettsumbildung, um konservative Positionen deutlicher zu machen. Für Sunak dürfte die Zeit als Premier dennoch ablaufen.
Die Ergebnisse stützten die Umfragen, dass Labour bei der Parlamentswahl auf Kurs für eine deutliche Mehrheit ist, sagte Politikwissenschaftler Bale. Deutlicher wurde der Abgeordnete Lee Anderson, der vor Kurzem von den Tories zur rechten Reform-Partei wechselte. Er sagte dem Sender Sky News: «Rishi Sunak könnte über Grossbritannien fliegen und eine Million Pfund in jeden Schornstein werfen. Sie würden ihn trotzdem abwählen.»