Niederlande: Wütende Wähler sorgen für politisches Erdbeben
Die Niederländer zeigen ihrer Regierung eine Gelbe Karte. Populisten profitieren von der Wut der Bauern und der Unzufriedenheit der Bürger. Wie kann die Koalition von Premier Rutte weiterregieren?
Das Wichtigste in Kürze
- In den Niederlanden hat die dramatische Niederlage der Regierungskoalition bei den Provinzwahlen ein politisches Erdbeben ausgelöst.
Die vier Parteien der Mitte-Rechts-Koalition von Ministerpräsident Mark Rutte verloren nicht nur in den 12 Provinzen des Landes deutlich, sondern auch in der Ersten Kammer des nationalen Parlaments, vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat. Dort werden sie nach den Hochrechnungen vom Donnerstag nur noch über knapp ein Drittel der Mandate verfügen – sie landeten somit weit entfernt von der für Gesetzesbeschlüsse notwendigen Mehrheit.
Die Verluste gefährden die Stabilität der Regierung des rechtsliberalen Premiers Rutte. Am Tag nach der Wahl sprachen Zeitungen von einem «historischen Denkzettel» und einer «Abrechnung mit der Regierung Rutte».
Überragender Sieger ist die neue rechtspopulistische Bauer-Bürger-Bewegung BBB. Sie war erstmals 2021 bei den Parlamentswahlen angetreten und erzielte damals ein Prozent der Stimmen. Nach den vorläufigen Endergebnissen der Provinzwahlen vom Mittwoch wurde die BBB in vielen Provinzen mit Abstand und auf Anhieb stärkste politische Kraft.
Sie gewann aber auch in der Ersten Kammer 15 der 75 Mandate und kam gleichauf mit den Sozialdemokraten und Grünen, die erstmals mit einer gemeinsamen Liste antraten und leichte Gewinne verbuchten. Die mitregierenden Christdemokraten verloren dagegen fast die Hälfte der Mandate.
Protestpartei: «Wir werden mitregieren»
Die Protestpartei BBB vertritt nach den Worten ihrer Vorsitzenden Caroline van der Plas «die Bürger, die nicht gehört werden». Der grosse Wahlsieg sei ein Signal an Den Haag: «Sie können uns nicht länger ignorieren. Wir werden mitregieren.»
Für den rechtsliberalen Rutte, der seit 12 Jahren Ministerpräsident ist, wird das Regieren nun äusserst schwierig. Beobachter bezweifeln, dass er wichtige Gesetze zum Klimaschutz, zur Reform der Landwirtschaft oder beim Thema Asyl durchbringen kann. Rutte zeigte sich enttäuscht: «Das ist nicht der Sieg, auf den wir gehofft hatten.» Doch er war zugleich zuversichtlich, dass er Mehrheiten finden werde.
Doch die Konflikte treten bereits deutlich zutage. Die BBB forderte, dass von der Regierung geplanten Eingriffe in die intensive Landwirtschaft vom Tisch müssten. Dagegen bekräftigte die linksliberale Regierungspartei D66, dass sie an der «progressiven Agenda» etwa beim Klimaschutz und in der Landwirtschaft festhalten werde.
Bauern protestieren gegen Umweltauflagen
Hauptthema bei diesen Wahlen waren die angekündigten einschneidenden Umweltauflagen für die Landwirtschaft. Die Koalition will den Stickstoff-Eintrag bis 2030 drastisch reduzieren. Die Massnahmen könnten das Ende für etwa 30 Prozent der Viehbetriebe bedeuten, schätzt die Regierung. Seit Monaten protestieren Bauern – auch mit Gewalt – gegen die Pläne. Die Wut der Bauern wurde aber zum Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit. «BBB ist das Sprachrohr dieses Unmuts», analysierte das NRC Handelsblad.
BBB wurde nicht nur in ländlichen Gebieten stark, sondern auch in vielen Städten. Den Prognosen nach kam sie nun in der Ersten Kammer auf etwa 19 Prozent.
Grosser Verlierer ist das rechtsextreme Forum für Demokratie. Noch vor vier Jahren war es überraschender Wahlsieger, doch die Partei brach nach internem Streit schnell auseinander. Aber auch der Rechtspopulist Geert Wilders verlor Wähler an die BBB.
Rechtspopulistische Parteien beherrschen in den Niederlanden seit über 20 Jahren die nationale Debatte, und sie werden immer grösser. Auch dieses Wahlergebnis zeigt Beobachtern zufolge, dass die Wut der Bürger auf die etablierten Parteien nicht abnimmt. Der Block rechts von Ruttes rechtsliberaler VVD umfasst mittlerweile fünf Parteien, die gemeinsam etwa ein Drittel der Wähler repräsentieren. «Jetzt muss sich endlich etwas ändern», sagte BBB-Chefin van der Plas.