Harte Fronten bei Wahlrechtsreform
Ein Bundestag mit weit mehr als 800 Abgeordneten? Das wäre teuer für die Steuerzahler und schwer zu organisieren. Wenn die Parteien sich nicht schnell auf eine Reform des Wahlrechts einigen, kann es aber so kommen - und eine Lösung zeichnet sich bislang nicht ab.
Das Wichtigste in Kürze
- Beim Vorhaben, den aufgeblähten Bundestag wieder zu verkleinern, schwindet die Aussicht auf eine rasche Reform des Wahlrechts.
«Mit Blick auf die verlorene Zeit ist jetzt eine umfassende Wahlreform nicht mehr möglich», sagte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) der «Rheinischen Post». Dieser Einschätzung widersprach allerdings der Koalitionspartner. «Das Zeitfenster mag sich schliessen - zu ist es allerdings noch nicht», versicherte der Justiziar der Unionsfraktion, Ansgar Heveling (CDU), bei einer Aktuellen Stunde.
Ein kurzfristiger Kompromiss zeichnete sich bei dieser Parlamentsdebatte allerdings erneut nicht ab. So wandte sich die Union gegen den jüngsten Vorschlag des Koalitionspartners SPD, die Zahl der Abgeordneten auf 690 zu deckeln und darüber hinaus gehende Überhangmandate verfallen zu lassen.
Seit der Bundestagswahl im September 2017 ringen die Parteien ergebnislos um eine Reform des Wahlrechts, weil das Parlament damals auf die Rekordzahl von 709 Abgeordneten angewachsen war. Ohne eine Neuregelung droht bei der nächsten Wahl sogar eine Vergrösserung auf möglicherweise 800 und mehr Parlamentarier. Regulär sollten es eigentlich nur 598 sein. Doch die Zeit drängt, denn noch in diesem Monat beginnt die Frist, in der die Parteien mit der Aufstellung ihrer Wahlkreiskandidaten beginnen können. Die AfD warb deshalb erneut für eine Verschiebung dieses Termins, um die Zeit für eine Lösungssuche zu verlängern.
Eine Reform halten alle Fraktionen für notwendig. FDP, Linke und Grüne hatten bereits im vergangenen Jahr einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt, mit dem unter anderem die Zahl der Wahlkreise sinken soll. CDU und CSU wehren sich aber dagegen, die Zahl der Wahlkreise oder der Direktmandate zu verringern. Sie werben stattdessen dafür, für einen Teil der anfallenden Überhangmandate keine Ausgleichsmandate zu gewähren - was jedoch bei den anderen Parteien auf Ablehnung stösst.
Diese machen die Unionsparteien dafür verantwortlich, dass eine Wahlrechtsreform noch nicht zustande gekommen ist. «Bis heute ist es vor allen Dingen die CSU, die jede Lösung blockiert», beklagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Hasselmann. Albrecht Glaser von der AfD warnte, dadurch werde Parteien- und Politikverdrossenheit geschürt.
Vor allem CDU und CSU gewinnen bisher in den Wahlkreisen viele Direktmandate, aber 2017 holten sie nur rund 33 Prozent der Zweitstimmen - und liegen in Umfragen derzeit noch darunter. Weil jeder direkt gewählte Abgeordnete derzeit auch in den Bundestag einziehen darf, entfallen viele Überhangmandate auf die Union. Im Gegenzug bekommen die anderen Parteien Ausgleichsmandate, damit das Kräfteverhältnis wieder dem Zweitstimmenergebnis entspricht.
Bundestagsvizepräsident Oppermann sagte, eine Deckelung könne noch beschlossen werden. Er forderte CDU und CSU zu Kompromissbereitschaft auf. Die Union sei jetzt die einzige Fraktion, die keine beschlossene Position habe. «Ich hoffe, dass sie trotzdem den Ernst der Lage erkannt hat», sagte Oppermann. «Das Vertrauen in die Institution des Deutschen Bundestages steht auf dem Spiel.»