Protest und Gewalt in Belarus: Lukaschenko lehnt Dialog ab
Mit Menschenketten fordern Demonstranten in Belarus eine Neuauszählung der Stimmen der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl. Doch Staatschef Lukaschenko antwortet mit Gewalt. Die Bundesregierung prangert eine «Repressionswelle» an.
Das Wichtigste in Kürze
- Auch nach Tagen blutiger Gewalt im Zuge der Präsidentenwahl in Belarus (Weissrussland) bleibt der wegen Wahlbetrugs kritisierte Staatschef Alexander Lukaschenko bei seiner harten Linie.
Die Aufforderung der Opposition und auch der EU-Staaten zum Dialog lehnte er am Mittwoch ab. Der als «letzter Diktator Europas» bezeichnete Staatschef sagte in Minsk, Basis der Demonstranten seien «Leute mit krimineller Vergangenheit, die heute arbeitslos sind». In vielen Städten bildeten Bürger Menschenketten; Hunderte Frauen in weissen Kleidern und mit Blumen forderten eine Neuauszählung der Stimmen.
In der Nacht war es zum dritten Mal in Folge in vielen Städten zu schweren Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und wütenden Wählern gekommen. Das Innenministerium sprach von 1000 neuen Festnahmen. Kundgebungen gegen den vermuteten massiven Wahlbetrug gab es demnach in mehr als 25 Städten. In der Nacht wurde in einem Fall auch scharf geschossen; ein Mann wurde verletzt.
Sicherheitskräfte schlagen die Proteste immer wieder blutig nieder. Es kommen Wasserwerfer, Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschosse zum Einsatz. Insgesamt gab es seit Sonntag 6000 Festnahmen und Hunderte Verletzte.
Die Bundesregierung in Berlin verurteilte das Vorgehen der Sicherheitskräfte. «Das ist eine regelrechte Repressionswelle, die da rollt, mit tausenden Festnahmen nach Wahlen, die weder fair noch frei waren», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. «Alle die in Belarus verhaftet wurden, weil sie friedlich für ihre demokratischen Rechte demonstriert haben, müssen freigelassen und müssen gehört werden.»
Ähnlich äusserte sich US-Aussenminister Mike Pompeo. «Wir wollen, dass die Menschen in Belarus die Freiheiten erhalten, die sie einfordern», sagte er in Prag. Friedliche Proteste müssten geschützt werden.
Der Streit um den Wahlsieg hatte die grössten und längsten Proteste in der Geschichte des Landes ausgelöst. Sie haben das Ziel, Lukaschenko aus dem Amt zu drängen.
Aus Angst vor politischer Verfolgung und aus Sorge um ihre Kinder hat Tichanowskaja das Land verlassen. Sie liess sich unter dem Druck von Lukaschenkos Apparatschiks am Dienstag nach Litauen ins Exil abschieben. Die Proteste laufen trotzdem weiter, allerdings augenscheinlich mit weniger Zulauf. Zuvor hatte Tichanowskaja wohl gezwungenermassen ihre Unterstützer aufgerufen, zuhause zu bleiben.
Menschenrechtler beklagen, dass Schlägertrupps in schwarzen Uniformen und Masken ohne Erkennungsmarken auf friedliche und unbewaffnete Bürger einschlagen und sie zu Hunderten grundlos festnehmen. Gewalt gab es nach Darstellung von Journalistenverbänden auch gegen Dutzende Korrespondenten. Zudem zerstörten Lukaschenkos Kräfte auch Technik und Bildmaterial von Fotografen und Kamerateams. Vor Gefängnissen forderten Familien die Freilassung ihrer bei den Protesten verschleppten Angehörigen.
Die Aussenminister der EU-Staaten wollen voraussichtlich noch an diesem Freitag in einer ausserplanmässigen Videokonferenz über die Lage in Belarus sprechen. Dabei soll es auch um mögliche neue Sanktionen gegen die Staatsführung in Minsk gehen. «Wir müssen eine einheitliche Position finden, um Druck auf Lukaschenko aufzubauen», forderte Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn im «Tagesspiegel». Strafmassnahmen müssen von allen EU-Mitgliedstaaten einstimmig mitgetragen werden.
Polens Präsident Andrzej Duda appellierte an den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, von der Führung in Belarus einen Gewaltverzicht und die Freilassung inhaftierter Demonstranten zu verlangen. Auch die orthodoxe Kirche in Belarus wolle sich für einen Dialog einsetzen und sich mit Regierungsvertretern treffen, sagte Kirchenoberhaupt Metropolit Pawel.
Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, verurteilte die Reaktion der Führung in Minsk auf die Proteste. Berichte über Festnahmen auch von Unbeteiligten und Kindern sowie über Gewalt bei und nach Festnahmen liessen klare Menschenrechtsverletzungen vermuten. «Ich erinnere die Regierung von Belarus an das absolute Verbot von Folter und andere Misshandlung von Festgenommenen», teilte sie am Mittwochabend mit.
In der Nacht funktionierte das Internet in Belarus kaum noch, erst am Morgen gab es wieder eine Verbindung. Die Behörden wollen mit dieser Taktik verhindern, dass sich die Menschen zu Protesten verabreden. Beobachter sprechen von beispielloser Solidarität unter den Menschen, die etwa in Minsk Haustüren öffnen, damit sich Verfolgte in Sicherheit bringen können.
Die Sicherheitskräfte nahmen nach eigener Darstellung angebliche Organisatoren der Demonstrationen fest. Sie hätten einen von ihnen in einem Hotel entdeckt und abgeführt, meldete die Staatsagentur Belta. Die Männer sollen Hunderte Demonstranten geführt haben. Die von Lukaschenko gesteuerten Staatsmedien berichten seit Tagen, dass es Drahtzieher in der EU gebe, die Unruhen gegen ihn organisierten.