Putin warnt vor weiterer Senkung der Gaslieferungen
Russland steht im Ruf, Energieexporte als geopolitisches Druckmittel einzusetzen. Neue Äusserungen von Kremlchef Putin könnten diesen Verdacht nähren.
Das Wichtigste in Kürze
- Wladimir Putin hat vor einer weiteren Senkung der Gaslieferungen gewarnt.
- Der Grund ist laut dem Kreml-Chef die in Kanada lange festgehaltene Turbine.
Inmitten der Energiekrise warnt Kremlchef Wladimir Putin Europa vor einem weiteren Absenken der russischen Gaslieferungen. Sollte Russland eine in Kanada reparierte Turbine für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nicht zurückerhalten, drohe Ende Juli die tägliche Durchlasskapazität der Leitung nochmals deutlich zu fallen, sagte Putin laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass. «Wir haben noch eine fertige Trasse - das ist Nord Stream 2. Die können wir in Betrieb nehmen», ergänzte Putin demnach.
Die Pipeline Nord Stream 1 - die wichtigste Gasleitung von Russland nach Deutschland - wurde 2011 in Betrieb genommen und hat eine Kapazität von rund 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Seit Juni hat Russlands staatlicher Energieriese Gazprom die Gaslieferungen nach Deutschland allerdings um mehr als die Hälfte der täglichen Höchstmenge auf 67 Millionen Kubikmeter reduziert.
Begründet wurde dies mit der fehlenden Turbine von Siemens Energy, was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als vorgeschoben kritisierte. Derzeit ist die mehr als 1200 Kilometer lange Pipeline zudem wegen alljährlicher Wartungsarbeiten völlig stillgelegt - planmässig bis Donnerstag.
Moskau dreht das Gas ab - Stück für Stück
Sollte Russland die reparierte Turbine nicht zurückerhalten, drohe Ende Juli wegen der notwendigen Reparatur eines «weiteren Aggregats» die tägliche Durchlasskapazität der Pipeline noch weiter zu fallen auf 33 Millionen Kubikmeter pro Tag, sagte Putin nun laut Tass. Er äusserte sich am Rande eines Spitzentreffens mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi und dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Teheran, bei dem es offiziell vor allem um die Lage im Bürgerkriegsland Syrien ging.
Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat Moskau nach und nach mehreren europäischen Ländern, die Kiew unterstützen, das Gas abgedreht. Kritiker stuften deshalb auch die Begründung der Lieferdrosselung mit der fehlenden Turbine als Vorwand ein.
Die in Kanada reparierte Turbine wurde wegen der westlichen Sanktionen infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine lange zurückgehalten und nicht wieder an Russland übergeben. Zuletzt entschied die kanadische Regierung aber auf Bitten Berlins, die Turbine an Deutschland zu übergeben, womit sie wieder eingebaut werden kann. Damit solle Russland ein Vorwand für einen endgültigen Stopp der Gaslieferungen oder deren anhaltende Drosselung genommen werden, hiess es aus dem Wirtschaftsministerium. Nach Darstellung der Bundesregierung ist die Lieferung des Geräts von den EU-Sanktionen gegen Russland ausgenommen, weil diese sich nicht gegen den Gastransit richteten.
Nord Stream 2 wieder im Fokus
Aus Moskau hiess es, bis jetzt weder die Maschine noch die dazu gehörigen Dokumente eingetroffen. Ausserdem lassen Putins Äusserungen in Teheran darauf schliessen, dass auch nach Ende der Wartungsarbeiten und selbst bei Einbau der Turbine die Pipeline möglicherweise nicht wieder auf volle Leistung hochgefahren würde. Denkbar wäre, dass Moskau so die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 erzwingen will.
Die schon vor dem Ukraine-Krieg höchst umstrittene Pipeline Nord Stream 2 wurde 2021 fertig gebaut. Nach der Invasion setzte Deutschland das Genehmigungsverfahren für den Betrieb der Leitung aus. Putin hatte angesichts der Energiekrise erklärt, dass durch Lieferungen über Nord Stream 2 das Preisniveau wieder sinken und sich die Situation insgesamt entspannen könnte.
EU geht von «schlimmstmöglichem Szenario» aus
Russland steht seit langem im Ruf, seine Energielieferungen als geopolitisches Druckmittel einzusetzen. Besonders vor diesem Hintergrund stellt die EU-Kommission heute einen Notfallplan vor, wie sich Europa auf einen drohenden Gasmangel im Winter vorbereiten kann.
«Wir gehen bei unseren Wintervorbereitungsplänen vom schlimmstmöglichen Szenario aus», sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Dienstag. Erwartet wird unter anderem, dass der Brüsseler Plan vorsieht, dass öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude ab Herbst bis maximal 19 Grad beheizt werden sollen und es verpflichtende Gassparziele geben könnte.