Die Wahl der neuen Staatsduma galt als wichtiger Stimmungstest für den russischen Präsidenten Putin. Doch die Abstimmung ist von Betrugsvorwürfen überschattet.
Zwei Wahlhelfer stehen neben einer Frau, die auf den Stufen vor einem Haus sitzt und Dokumente ausfüllt. Foto: Evgeniy Sofiychuk/AP/dpa
Zwei Wahlhelfer stehen neben einer Frau, die auf den Stufen vor einem Haus sitzt und Dokumente ausfüllt. Foto: Evgeniy Sofiychuk/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei der von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wahl der neuen Staatsduma behauptet sich die Kremlpartei Geeintes Russland laut Prognosen als stärkste Kraft.
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Die Machtbasis des russischen Präsidenten Wladimir Putin kam demnach auf 45,2 Prozent, wie das Staatsfernsehen meldet.

Sie regierte bisher mit absoluter Mehrheit. Die Kommunisten erhielten demnach 21 Prozent. Es handelte sich um Umfrageergebnisse bei Wählern nach der Stimmabgabe und nicht um Ergebnisse. Kurz nach Schliessung der letzten Wahllokale um 20.00 Uhr MESZ waren erst rund 10 Prozent der Stimmzettel ausgezählt.

Vertreten waren im Parlament mit den 450 Abgeordneten bisher auch die rechtspopulistische Partei LDPR des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski und die Partei Gerechtes Russland. Die LDPR landete bei 8,7 Prozent in den Wählerbefragungen, Gerechtes Russland bei 7,9 Prozent. Sie alle gelten als systemtreue Parteien. Es war unklar, ob eine fünfte Kraft den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte.

Nawalny ausgeschlossen

Die Opposition um den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny war ausgeschlossen von der Abstimmung, die erstmals für drei Tage angesetzt war. Die Wahlbeteiligung wurde wenige Stunden vor Schliessung der Wahllokale mit rund 45 Prozent angegeben.

In Russland und im Ausland waren rund 110 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen gewesen, eine neue Staatsduma für die kommenden fünf Jahre zu bestimmen. 14 Parteien standen zur Auswahl, unter den Kandidaten waren kaum echte Oppositionelle. Überschattet wurde der Urnengang von Hunderten Beschwerden über massenhafte Verstösse. Das Innenministerium sprach von 750 Beschwerden, die eingegangen seien. Es habe keine schwerwiegenden Verstösse gegeben.

Die Wahl galt als ein wichtiger Stimmungstest für Kremlchef Putin und seine Politik. Viele Menschen in Russland sind Umfragen zufolge unzufrieden mit der Lage wegen sinkender Löhne und massiv steigender Preise. Die Kremlpartei Geeintes Russland war im Vorfeld dafür verantwortlich gemacht worden. Ihre Umfragewerte hatten unter 30 Prozent gelegen.

Manipulationsvorwürfe

Unabhängige Beobachter der Organisation Golos hatten Tausende Verstösse landesweit aufgelistet - meist mit Foto- und Videoaufnahmen. Der Golos-Experte Andrej Busin nannte das Ausmass «bedeutend» - besonders in Putins Heimatstadt St. Petersburg. Dort kämpften die Menschen regelrecht um ihre Stimmen, wie auf Videos zu sehen war. Vielfach wurden Wahlurnen vollgestopft mit packenweise vorausgefüllten Stimmzetteln. Es gab zudem Berichte über Wählerzwang etwa unter Staatsbediensteten sowie über Mehrfachstimmabgaben.

Die zentrale Wahlkommission kündigte an, die Beschwerden zu prüfen. Bis Sonntagabend wurden mehr als 8500 Stimmzettel annulliert, hiess es. Wahlleiterin Ella Pamfilowa meinte, es seien bisher zwölf Fälle bestätigt, bei denen Stimmzettel packenweise in die Urnen gestopft wurden. Auch die Kommunisten, die angesichts der verbreiteten Unzufriedenheit mit der Politik des Kremls auf einen Stimmzuwachs hoffen, beklagten vielfach Verstösse. Sie kündigten Proteste an.

Golos-Beobachter Busin, meinte, dass die Wahlleitung kleine Zugeständnisse mache, aber die Abstimmung nicht grundsätzlich in Frage stellen werde. Wahlleitung wie die Gerichte und alle Entscheidungsebenen unterlägen der Kontrolle des Kremls, sagte er.

Unabhängige Beobachter und Oppositionelle befürchteten, dass sich die Kremlpartei mit massenhaftem Betrug einen neuen Sieg sichert. Die von der Wahl ausgeschlossene Opposition um Nawalny hatte zur Protestwahl gegen Geeintes Russland aufgerufen. «Geeintes Russland will uns diese Wahlen stehlen und uns danach weiterer fünf Jahre berauben», sagte Sprecherin Kira Jarmysch. Deshalb sollten die Russen für Kandidaten anderer Partei stimmen.

Nawalny-App gelöscht

Zum Ärger der Kremlgegner hatten die Internetriesen Google, Youtube, Apple sowie der Nachrichtenkanal Telegram Empfehlungen des Nawalny-Teams für «schlaues Abstimmen» gelöscht. Dabei wurden konkrete Namen genannt, für die Wähler stimmen sollten. Die von den Behörden verbotenen Inhalte waren aber weiter über Twitter abrufbar. Das Nawalny-Team wehrte sich gegen Kritik, dass dadurch etwa für kommunistische Bewerber geworben werde.

Es sei im Moment - angesichts des Ausschlusses der Opposition - die einzige Chance, das Machtmonopol von Geeintes Russland zu brechen, sagte Nawalnys Mitarbeiter Leonid Wolkow. «Wir werden auf jeden Fall in einem Russland leben, in dem man für gute Kandidaten mit unterschiedlichen Programmen abstimmen kann», sagte er.

In der Hauptstadt Moskau waren an den Wahltagen verstärkt Polizisten im Einsatz. Rund um den Roten Platz am Kreml standen Absperrgitter bereit - offenbar für den Fall von Protesten.

Gewählt wurden auch neue Regional- und Stadtparlamente. Bei den insgesamt mehr als 4400 Wahlen wurden mehr als 31 000 Mandate neu vergeben. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) waren diesmal nicht vertreten, weil sie mit den Bedingungen und der geringen Zahl zugelassener Experten nicht einverstanden waren. In dem Riesenreich gilt eine Wahlbeobachtung als besonders personalaufwendig.

Russland hatte die Einschränkungen für die westlichen Beobachter mit der Corona-Pandemie begründet. Wegen der Gefahr durch das Virus wurde die Abstimmung auf drei Tage angesetzt, damit Wähler die soziale Distanz und die Hygieneregeln einhalten können. Kritiker werfen den Behörden vor, Manipulationen zu erleichtern, weil Wahlurnen etwa nachts kaum zu kontrollieren seien.

Stimmen aus der Ostukraine

Trotz Protest aus Kiew haben auch Zehntausende Menschen aus den Separatistengebieten der Ostukraine abgestimmt. Bis zum Sonntagnachmittag hätten sich mehr als 150.000 Bewohner mit russischem Pass beteiligt, teilten die russischen Behörden der Staatsagentur Tass zufolge mit. Aus mehreren Städten der Gebiete Donezk und Luhansk wurden Berichten zufolge Wahlberechtigte kostenlos mit Hunderten Bussen und Zügen in die benachbarte russische Region Rostow am Don zur Stimmabgabe gefahren.

Es gab Fotos und Videos von vollen Reisebussen mit Menschen, die die russische Fahne schwenkten. Zudem konnten in den Gebieten lebende russische Staatsbürger in knapp 400 «Infozentren» per Internet abstimmen. Das unabhängige Internetportal meduza.io schrieb, in einigen Fällen sei ihnen vor der Stimmabgabe noch die russische Staatsbürgerschaft ausgestellt worden. So habe Moskau die Wahlbeteiligung an der dreitägigen Abstimmung erhöht.

Das ukrainische Aussenministerium hatte zuvor noch von einer «erzwungenen Beteiligung» von Bürgern der Ukraine an der Duma-Wahl gesprochen und zugleich die geöffneten Wahllokale auf der von Russland 2014 einverleibten ukrainischen Halbinsel Krim kritisiert.

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