Mindestens 38 Tote bei Protesten im Irak
Das Wichtigste in Kürze
- Trotz Reformversprechen der Regierung gehen die Proteste im Irak gegen Korruption und Misswirtschaft weiter.
Sicherheitskräfte verhinderten am Freitag Augenzeugen zufolge, dass sich kleinere Gruppen von Demonstranten in der Hauptstadt Bagdad auf einem zentralen Platz sammeln. Die Zahl der Toten seit Beginn der Proteste stieg auf mindestens 38, darunter 35 Demonstranten, wie die Hohe Menschenrechtskommission des Landes mitteilte. Mehr als 1900 Menschen wurden verletzt. Iraks höchster schiitischer Geistlicher rief die Politik zu «ernsthaften Reformen» auf, bevor es zu spät sei.
Grossajatollah Ali al-Sistani verurteilte zugleich die Angriffe auf Demonstranten und Sicherheitskräfte. Präsident, Regierung und Parlament müssten die notwendigen Schritte für «wirkliche Reformen» unternehmen, erklärte er in seiner Freitagspredigt, die für ihn in einer Moschee verlesen wurde. Der Geistliche gilt als Iraks wichtigste moralische Stimme, mit grossem Einfluss auf die Politik.
In der Hauptstadt sowie in mehreren anderen Provinzen vor allem im Süden des Landes waren am Dienstag Proteste gegen Korruption und Misswirtschaft ausgebrochen. Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas und Schüssen in die Luft gegen die Demonstranten vor. Die Proteste richten sich gegen die im Irak weit verbreitete Korruption und politischen Stillstand. So gehört der Irak weltweit zu den grössten Ölproduzenten, leidet aber unter akutem Strommangel.
Die Wut der Demonstranten ist auch deshalb so gross, weil die Regierung seit Jahren Reformen und einen verstärkten Kampf gegen die Korruption verspricht, ohne dass sich die Lage bessert. Die grossen politischen Blöcke im Parlament blockieren sich gegenseitig. Der Regierungschef verfügt über keine eigene Hausmacht.
Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi erkannte die Forderungen der Demonstranten in einer TV-Ansprache in der Nacht auf Freitag als berechtigt an. Die Regierung sei um eine Lösung bemüht, doch gebe es «keine Zauberformel», um alle Probleme zu lösen, sagte er. Zugleich kündigte er Hilfe für benachteiligte Familien an. Das Parlament will am Samstag in einer Sondersitzung über die Krise beraten. In Bagdad hatte am Donnerstagmorgen eine Ausgangssperre begonnen.
Der einflussreiche schiitische Geistliche Muktada al-Sadr rief die Abgeordneten seines politischen Blocks auf, das Parlament so lange zu boykottieren, bis die Regierung ein Programm vorlegt, das vom Volk akzeptiert werde, wie lokale Medien meldeten. Al-Sadrs Block hatte bei der Wahl im vergangenen Jahr die meisten Sitze gewonnen.
Auch die Chefin der UN-Mission im Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, erklärte, die Forderungen der Demonstranten seien legitim. «Unverzügliche, spürbare Ergebnisse sind von grosser Wichtigkeit, um das öffentliche Vertrauen wiederherzustellen», sagte sie.
Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf rief die Regierung auf, die Proteste ernst zu nehmen. Sie müsse beispielsweise Arbeitsplätze schaffen. Das Büro äusserte sich besorgt über Berichte, dass die Sicherheitskräfte teilweise scharfe Munition und Gummigeschosse eingesetzt hätten. Die Regierung müsse sicherstellen, dass die Menschen ihre Beschwerden ohne Risiken zu Gehör bringen können.