Angesichts des Winterwetters und russischer Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur gab es Befürchtungen, dass viele weitere Ukrainer in die EU fliehen könnten. Der UNHCR-Chef hält das für eher unwahrscheinlich.
Laut UNHCR sind rund 14 Millionen Menschen seit Kriegsbeginn aus ihren Häusern in der Ukraine vertrieben worden.
Laut UNHCR sind rund 14 Millionen Menschen seit Kriegsbeginn aus ihren Häusern in der Ukraine vertrieben worden. - Vadim Ghirda/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) rechnet wegen des anhaltenden russischen Angriffskriegs eher mit einer Zunahme der Vertreibung innerhalb der Ukraine als mit einer grossen Fluchtbewegung in Richtung der EU-Staaten.
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«Das wahrscheinlichste Szenario ist eine weitere Vertreibung innerhalb der Ukraine», sagte UNHCR-Chef Filippo Grandi in einem Interview mit dem «Spiegel». «Ich hoffe, dass es keine weitere grosse Flüchtlingsbewegung geben wird.» Gleichzeitig schränkte er ein: «Aber Krieg ist unberechenbar.»

Ihn beunruhige, dass diejenigen, die jetzt noch ins Ausland fliehen könnten, höchstwahrscheinlich mehr Unterstützung bräuchten. «Diejenigen, die bisher in der Ukraine geblieben sind, hatten entweder weniger Kontakte in Europa oder waren weniger mobil», sagte Grandi dem «Spiegel» weiter. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Staaten der EU bei Bedarf auch zusätzliche Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen könnten. «Europa kann der Herausforderung noch eine Weile standhalten», sagte er. Mit Blick auf den Winter sagte Grandi: «Anders als im Frühjahr werden diesmal mehr öffentlich betriebene Unterkünfte nötig sein, und dafür werden Mittel benötigt.» Daher sollten Länder wie Polen und Tschechien, die eine besonders grosse Last zu tragen hätten, finanziell unterstützt werden, forderte er.

Grösste Vertreibung von Menschen seit Jahrzehnten

Angesichts des Winterwetters und anhaltender russischer Angriffe auf die zivile Infrastruktur des Landes – insbesondere auf Einrichtungen der Strom- und Wärmeversorgung – gab es zuletzt immer wieder Befürchtungen, dass nun viele weitere Ukrainer in die EU fliehen könnten. Dahingehend äusserte sich am Sonntag zum Beispiel auch der deutsche Botschafter in London, Miguel Berger. «Wir sind darüber sehr besorgt, denn diese Angriffe auf die Energieinfrastruktur bedeuten, dass viele Menschen in den eiskalten Temperaturen dazu gezwungen sein könnten, die Ukraine zu verlassen.» Der Diplomat sagte dem britischen TV-Sender Sky News weiter: «Wir erwarten einen weiteren Schwung an Flüchtlingen in den kommenden Wochen.»

Russlands Einmarsch in die Ukraine Ende Februar hat dem UNHCR zufolge zur grössten Vertreibung von Menschen seit Jahrzehnten geführt. Erst Anfang November hatte Grandi in New York gesagt, rund 14 Millionen Menschen seien seit Kriegsbeginn aus ihren Häusern vertrieben worden. Knapp acht Millionen haben dem UNHCR zufolge im Ausland Schutz gesucht, davon eine Million in Deutschland.

UNHCR-Chef Grandi lobte ausdrücklich «die derzeitige europäische Politik der nachhaltigen Gastfreundschaft» gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen. Sie hätten direkt Zugang zu den Sozialsystemen und dürften arbeiten. «Jahrelang wurden solche Ansätze für schlecht oder für nicht umsetzbar gehalten. Aber in Wirklichkeit haben sie den Druck auf Regierungen und Gesellschaften verringert, weil sie einen gewissen Selbstregulierungsmechanismus geschaffen haben», so Grandi.

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