Verrückt oder genial? - Die Schweden und ihr Corona-Weg

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Schweden,

Die einen machten alles dicht, die anderen liessen fast alles offen: Schweden agierte in der Corona-Krise nach letzterem Vorgehen.

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Die Menschen in Schweden geniessen den Frühling trotz Corona-Pandemie gemeinsam in einem Café. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Schweden folgt in der Corona-Krise seinem eigenen Vorbild.
  • Entgegen allen Lockdown-Nachbaren hat sich Schweden gegen einen solchen entschieden.
  • Trotz hoher Fallzahlen halten sie weiterhin an ihrem Kurs fest.

Schweden und Dänemark geben beide um Punkt 14.00 Uhr ihre täglichen Corona-Zahlen bekannt. Damit hören die Gemeinsamkeiten der skandinavischen Nachbarn in der Corona-Krise aber auch schon auf.

Die Fallzahlen machen den Unterschied

Während die Dänen das neuartige Coronavirus mit strikten Massnahmen in den Griff bekommen haben, stehen die Schweden weitaus schlechter da. Und auf der dänischen Seite der Öresundbrücke fragt man sich bereits: Sind die Schweden verrückt geworden - oder stellt sich ihr Sonderweg am Ende als genial heraus?

Ein Blick auf die Zahlen der vergangenen Tage macht die Unterschiede zwischen den beiden ansonsten eng verbundenen Ländern deutlich: Am Donnerstag vermeldeten die Schweden 69 neue Covid-19-Tote und 673 Neuinfektionen. Derweil gab es bei den Dänen nur vier weitere Todesfälle und 46 bestätigte neue Fälle.

Coronavirus Schweden
Coronavirus in Schweden: Menschen sitzen in der Sonne in Restaurants und Cafés an dem Platz Lilla Torg. - dpa

Am Mittwoch waren in Schweden gar 147 Tote hinzugekommen, in Dänemark waren es da lediglich sechs. Insgesamt steht Schweden bei mehr als 28'600 Infektions- und 3500 Todesfällen. Im Vergleich dazu Dänemark mit etwa 10'700 Erkrankungen und knapp 540 Toten, wo etwa halb so viele Menschen wohnen.

Schweden will trotz lockeren Massnahmen die Ausbreitung verhindern

Auch im Vergleich zum restlichen Skandinavien sticht Schweden mit den höchsten Zahlen heraus. Trotzdem hält das Land von Ministerpräsident Stefan Löfven und Staatsepidemiologe Anders Tegnell an seiner Strategie fest. Die Lage im Land sei stabil, versicherte Tegnell zuletzt. Auch wenn er einräumte: «Es ist furchtbar traurig, dass weiter so viele Menschen in Schweden an dieser Krankheit sterben.»

Anders als Europa hat sich Schweden im Kampf gegen das Coronavirus dagegen entschieden, grosse Teile des öffentlichen Lebens zu beschränken. Schulen, Geschäfte und Restaurants blieben durchgehend offen. Trotzdem geht es auch den Schweden darum, die Corona-Ausbreitung abzubremsen.

coronavirus schweden
Coronavirus Schweden: Über 3000 Menschen sind bisher an den Folgen des Coronavirus gestorben. - AFP/Archiv

«Schweden verfolgt dieselben Ziele wie alle anderen Länder - Leben zu retten und die öffentliche Gesundheit zu schützen.» Dies machte Aussenministerin Ann Linde am Mittwoch nochmals auf Twitter klar.

Die Regierung und die Behörden appellieren ansonsten hauptsächlich an die Vernunft und den gesunden Menschenverstand ihrer Bürger. Sie bitten sie, Abstand zu halten und bei Symptomen zu Hause zu bleiben. Besonders Letzteres wird von manchen Wissenschaftlern skeptisch gesehen.

Heime sind besonders betroffen

«Die gesamte Strategie der schwedischen Gesundheitsbehörde baut auf einem lebensgefährlichen Konzept auf: Bleib' zu Hause, wenn du dich krank fühlst», kritisierte die Stockholmer Virologin Lena Einhorn bereits Mitte April im Sender SVT.

22 Forscher erklärten das Vorgehen der Gesundheitsbehörde in der Zeitung «Dagens Nyheter» bereits im April für gescheitert. Andere glauben dagegen weiter fest an den antiautoritären und freiheitlicheren Ansatz.

Coronavirus Kurve
Die Kurve des Coronavirus flacht in Schweden noch nicht ab. - Screenshot Johns Hopkins University

Besonders die Lage unter den älteren Schweden stellt jedoch ein erhebliches Problem dar: Fast 90 Prozent aller schwedischen Corona-Toten sind über 70 Jahre alt gewesen. Dabei hat die Regierung diese Hauptrisikogruppe eindringlich gebeten, soziale Kontakte zu meiden, auch Besuche in Altersheimen sind seit dem 1. April verboten.

Trotzdem sind diese Heime von der Pandemie besonders hart getroffen worden. Etwa jeder zweite bisherige Covid-19-Tote im Land ist ein Heimbewohner gewesen.

Gefährliche Theorie der Herdenimmunität

Es gibt aber auch positive Entwicklungen: Die Reproduktionszahl lag in der zweiten April-Hälfte fast kontinuierlich unter 1,0. Das bedeutet, dass jeder Infizierte im Mittel weniger als eine weitere Person ansteckt. Die Zahl neuer Intensivpatienten geht mehr oder minder regelmässig zurück. Und in Stockholm diskutiert man zudem über eine möglicherweise nahende Herdenimmunität, die bald in der Stadt eintreten könnte.

Dazu schrieben besagte 22 Forscher in einem neuen Meinungsbeitrag, es sei «unrealistisch und gefährlich», sich auf diese Strategie zu verlassen. «Anstatt Menschen sterben zu lassen, sollten wir Menschen am Leben erhalten, bis wirksame Behandlungen und Impfstoffe eingesetzt werden können.»

Anders Tegnell
Der schwedische Staats-Epidemiologe Anders Tegnell. Sein Umgang mit dem Coronavirus sorgt für Kritik. - Keystone

Ob die eigenwillige Corona-Strategie der Schweden am Ende aufgeht, lässt sich auch mehrere Monate nach Pandemie-Beginn noch nicht abschätzen. «Wir können keine Schlüsse ziehen, bevor es vorbei ist», sagte auch Tegnell in einer Reportage des dänischen Rundfunksenders DR.

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