Verwüstung und Fassungslosigkeit in Paderborn nach Tornado
«Nach einer Minute war alles vorbei». So schildert ein Anwohner den Tornado, der in Paderborn grossen Schaden anrichtete. Die Fassungslosigkeit ist gross.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Freitagnachmittag zog ein heftiger Tornado durch Paderborn.
- Wie durch ein Wunder gab es keine Tote. Doch der Schaden ist immens.
- NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst besuchte Paderborn nach dem Unwetter.
Am Tag nach dem Tornado bietet sich in Paderborn ein Bild der Verwüstung. Dachdecker reparieren im Rekordtempo. Überall herrscht Betroffenheit, aber auch grosse Hilfsbereitschaft.
Heiner Wortmann steht zwischen Ästen und Dachziegeln auf der Strasse. Er blickt hoch zu den Dachdeckern, die gegenüber emsig ein abgedecktes Dach ausbessern.
«Ich bin entsetzt, so etwas habe ich noch nie erlebt. Das Haus ist gerade erst aufwendig saniert worden, nun ist alles wieder kaputt.» Dies sagt der 82-Jährige am Samstagmittag im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Seit 60 Jahren lebt er mit seiner Frau im Wohngebiet entlang der Riemekestrasse in Paderborn. Das Unwetter ist dort am Freitagnachmittag gegen 17.15 Uhr durchgezogen und hat grosse Zerstörungen hinterlassen. Überall entwurzelte Bäume, abgedeckte Dächer, umgeknickte Zäune, zertrümmertes Glas.
Scherben und Äste zusammenkehren
«Ich habe als kleiner Junge miterlebt, wie das Arnsberger Viadukt bombardiert wurde», sagt Wortmann, der aus dem Sauerland stammt. Das Viadukt war im März 1945 kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs durch alliierte Luftangriffe zerstört worden.
«Jetzt war alles hier immer so friedlich. Wir haben uns sicher gefühlt. Dann so etwas hautnah mitzuerleben, das ist furchtbar», meint Wortmann, dem fast die Tränen kommen.
Sein Haus, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unwetters aufhielt, ist kaum betroffen. «Nur ein paar Dachpfannen», sagt Wortmann und will nicht klagen: «Wenn ich etwas jünger wäre, würde ich selbst aufs Dach klettern und den Schaden reparieren.» Am meisten bekümmert sei er, dass im nahe gelegenen Riemekepark fast alle alten Bäume zerstört wurden. «Die waren zum Teil 150 Jahre alt.»
«Nach einer Minute war alles vorbei»
Weiter vorne in der Strasse kehrt Michael Lohl Scherben und Äste zusammen, sein dreijähriger Enkel Leo spielt mit dem Roller. «Wir waren gestern zu Hause, unser Enkel war zu Besuch. Plötzlich wurde es stockdunkel, als der Tornado kam. Nach ungefähr einer Minute war alles vorbei - unvorstellbar», schildert er das Szenario.
Dann habe er noch einem Verletzten geholfen, der vor seinem Haus gegen die Mauer geschleudert worden war. Auf der Rückseite sei ein Baum auf seine Terrasse gekracht.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, Innenminister Herbert Reul und Bauministerin Ina Scharrenbach machten sich ein Bild von der Lage vor Ort. Wüst zeigte sich danach in Paderborn tief betroffen.
«Es sind erschreckende Bilder, die man hier sieht. Ein enormes Ausmass der Zerstörung. Und es ist ein kleines Wunder, dass Stand jetzt niemand zu Tode gekommen ist», sagt Wüst in der Paderstadt.
«Unsere Gedanken sind bei den Verletzten, auch bei den Menschen, die ihr Zuhause verloren oder andere schwere Sachschäden erlitten haben.» Der Landeschef dankte ausdrücklich den Einsatzkräften und Hunderten vom Helfern: «Ich bin sehr dankbar für das, was geleistet worden ist.» Das Unglück zeige einmal mehr, «dass wir uns auf solche Extremwetterereignisse immer häufiger werden einrichten müssen».
Schneise der Verwüstung
Mehr als 40 Menschen sind in Paderborn verletzt worden, darunter 13 schwer. Eine Frau schwebte nach einer Notoperation in Bielefeld am Samstag nach Behördenangaben noch in Lebensgefahr. Die 300 Meter breite und rund fünf Kilometer lange Schneise der Verwüstung quer durch die Grossstadt ist noch sichtbar.
«Es ist ein unvorstellbares Bild gewesen und ist es nach wie vor.» Das sagt Paderborns Bürgermeister Michael Dreier (CDU) bei einer Pressekonferenz in der Feuerwache Süd.
Auch er berichtet von Bäumen und Ampeln, die wie Streichhölzer umgeknickt seien. Leitplanken, die wie Papierschnipsel durch die Luft flogen. Aufgewirbelte Dachziegel, die sich in Fassaden bohrten.
Entlang der Riemekestrasse stehen viele Handwerkerautos. Das Wetter hat sich beruhigt, die Sonne scheint - es wirkt fast friedlich, aber betriebsam. Schaulustige sind nur wenige zu sehen. Feuerwehrmann Florian Brandt schickt seine Leute mal hierhin, mal dorthin.
«Die Einsätze werden in der Leitstelle und im Stab koordiniert und priorisiert. Das Wichtigste ist immer zuerst die Menschenrettung. Dann müssen wir dafür sorgen, dass die Rettungswege freigeräumt werden. Etwas Ähnliches habe ich mal nach einem Unwetter in Mülheim an der Ruhr gesehen», sagt er.
Kurz, aber sehr heftig
In seinem Lotto- und Tabakgeschäft steht Wolfgang Hölscher hinter dem Tresen. Vor dem Laden türmt sich ein Berg von Ästen, Baumstammresten und anderen Trümmerteilen. Mit einem Bagger wird aufgeräumt, von einem Kran aus werden Dachschäden begutachtet. Am Laden-Eingang stehen ein paar Leute, die über das Geschehene reden, es immer nicht richtig fassen können.
Hölscher hatte am Freitag noch geöffnet, als der Sturm kam. Durch das Fenster des Geschäfts konnte der 64-Jährige alles beobachten. «Geregnet hat es kaum, aber der Tornado war deutlich zu erkennen. Er sah so ähnlich aus wie ein Eishörnchen.»
Dachziegel, Styroporteile, Äste und leichtere Teile von Zäunen seien nach oben gesaugt worden, beschreibt Hölscher. «Um 17.14 Uhr ging es los. Nach einer Minute und 27 Sekunden war alles vorbei.»