Weitere Zivilisten sollen aus eingekesseltem Stahlwerk in Mariupol evakuiert werden
Nach einer ersten Evakuierungsaktion sollen am Montagmorgen weitere Zivilisten aus dem heftig umkämpften Asow-Stahlwerk im südukrainischen Mariupol in Sicherheit gebracht werden.
Die Evakuierung beginne um 07.00 Uhr (06.00 Uhr MESZ), kündigte der Leiter der Militärverwaltung von Donezk, Pawlo Kyrylenko, in der Nacht zum Montag an. Nach zahlreichen gescheiterten Evakuierungsversuchen hatten am Wochenende nach ukrainischen Angaben mehr als hundert Menschen das Stahlwerk verlassen.
Es sei «endlich gelungen», mit der Evakuierung der Menschen aus dem umkämpften Industriekomplex zu beginnen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag in einer Videoansprache. «Mehr als hundert Zivilisten sind bereits evakuiert worden - vor allem Frauen und Kinder», fügte er hinzu. Sie sollen am Montagmorgen in der von der ukrainischen Armee kontrollierten Stadt Saporischschja eintreffen.
Nach Angaben eines UN-Sprechers hatte ein humanitärer Konvoi am Samstagmorgen Mariupol erreicht. Koordiniert wurde die Evakuierungsaktion demnach vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das sich dazu mit beiden Kriegsparteien abstimmte.
Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, am Sonntag seien 80 Zivilisten, die «von ukrainischen Nationalisten festgehalten» worden seien, aus dem Asow-Stahlwerk evakuiert und in das unter russischer Kontrolle stehende Dorf Besimenne in der Region Donezk gebracht worden. Zivilisten, «die in die vom Kiewer Regime kontrollierten Gebiete wollten, wurden an Vertreter der UNO und des IKRK übergeben», erklärte das Ministerium weiter.
Bereits am Samstag hatte das russische Verteidigungsministerium die Evakuierung von 46 Zivilisten aus dem Industriegelände bekanntgegeben. Das ukrainische Asow-Regiment meldete am selben Tag dagegen nur rund 20 Evakuierte.
Das am Asowschen Meer gelegene Mariupol gilt als strategisch äusserst wichtig. Erklärtes Ziel Russlands im Ukraine-Krieg ist die Herstellung einer Landverbindung zur annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim sowie zu der von pro-russischen Separatisten kontrollierten Region Transnistrien in der Republik Moldau.
In den vergangenen Tagen verstärkte die russische Armee ihre Angriffe sowohl im Osten als auch im Süden der Ukraine. Am Sonntag wurden nach ukrainischen Angaben vier Zivilisten in der Stadt Lyman in der Region Donezk durch russischen Beschuss getötet. Ein weiterer Mensch wurde demnach in einem nahegelegenen Ort tödlich verletzt. Drei weitere Menschen wurden bei Angriffen auf Wohngebiete in und um die Stadt Charkiw getötet, wie Regionalgouverneur Oleg Synegubow auf Telegram mitteilte.
Wie AFP-Reporter vor Ort berichteten, hatten sich die ukrainischen Truppen zuletzt aus Charkiw und Lyman zurückgezogen. Rund um Lyman machte die russische Armee demnach innerhalb von 24 Stunden grosse Geländegewinne und rückte mehrere Kilometer weit vor. Aus Charkiw zog sich die ukrainische Armee auf vorgelagerte Posten zurück, wie AFP-Reporter berichteten.
Ein baldiges Ende der russischen Offensive ist nicht in Sicht. Russland strebe nicht an, seinen Militäreinsatz in der Ukraine bis zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland am 9. Mai zu beenden, sagte Aussenminister Sergej Lawrow am Sonntag dem italienischen Fernsehsender Mediaset. «Unser Militär wird seine Handlungen nicht künstlich an irgendeinem Datum ausrichten.»
Am 9. Mai feiert Russland traditionell den Sieg über Nazi-Deutschland mit einer Militärparade und einer Rede von Kreml-Chef Wladimir Putin auf dem Roten Platz in Moskau.
Die Chefin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, dankte der Ukraine unterdessen bei einem unangekündigten Besuch in Kiew für ihren «Kampf für Freiheit». In Washington werde daran gearbeitet, die von Präsident Joe Biden beim Kongress beantragte zusätzliche Unterstützung von 33 Milliarden Dollar (rund 31 Milliarden Euro) für die Ukraine freizugeben, sagte sie bei einem Treffen mit Selenskyj.
Die EU-Kommission plant derweil nach Diplomatenangaben nun doch ein Embargo für russisches Öl, das im Rahmen eines neuen Sanktionspakets schrittweise eingeführt werden soll. Auch die Bundesregierung befürwortet dies inzwischen. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Anne Will», Deutschland werbe «innerhalb der EU dafür, jetzt im sechsten Sanktionspaket der EU den Öl-Ausstieg als Europäer gemeinsam zu gehen».