Westafrika-Einsatz wird für Bundeswehr gefährlicher
Im westafrikanischen Mali stossen edle Absichten Deutschlands auf eine ernüchternde Realität. Die Ampel-Koalition muss binnen Wochen entscheiden, ob die Bundeswehr bleiben soll.
Das Wichtigste in Kürze
- Rund fünf Monate nach dem Scheitern in Afghanistan steuert auch der Militäreinsatz im westafrikanischen Mali in eine überaus schwierige Lage.
Der EU-Partner Frankreich ist in dem Land teils verhasst, die Regierung mit einem Putsch an die Macht gekommen, und russische Söldner sind als neue und bereits erfolgreiche Partner der malischen Armee im Anti-Terror-Kampf.
Die Bundesregierung muss entscheiden, ob die Bundeswehr das Feld räumen, mit Verbündeten einen anderen Ansatz zur Stabilisierung suchen oder sich gar selbst robuster aufstellen soll. Die Warnung: Ein Vakuum könnte islamistischen Terrorgruppen mehr Raum geben oder Russland noch stärker auf den Plan rufen. Auch grosse Fluchtbewegungen bis nach Europa werden befürchtet.
Bundeswehr mit mehr als 1300 Männern und Frauen in Mali
Der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte plädiert dafür, nicht zurückzuweichen, vor allem nicht bei dem mit deutscher Beteiligung aufgestellten UN-Einsatz Minusma. Eher noch sollten zum Schutz deutscher Soldaten Kampfhubschrauber vom Typ «Tiger» und zusätzliche Aufklärungsmittel verlegt werden, fordert Otte, der stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag ist.
Die Bundeswehr ist mit mehr als 1300 Männern und Frauen in Mali präsent und hat dafür zwei Mandate, die am 31. Mai auslaufen. In der EU-Ausbildungsmission EUTM werden die malischen Streitkräfte ausgebildet, um - idealerweise - selbst für Sicherheit zu sorgen. Die grössere UN-Mission Minusma soll das Land, dessen Norden 2012 vorübergehend in die Hände islamistischer und anderer Rebellengruppen geraten war, stabilisieren.
Schnell schritt damals die einstige Kolonialmacht Frankreich ein. Ihre Anti-Terror-Missionen «Barkhane» und «Takuba» konnten aber nicht verhindern, dass die Gewalt immer mehr um sich griff. Ein Vorwurf Malis lautet, Frankreich habe mit seinem Vorgehen Konflikte noch angefeuert. Ein anderer: Paris missachte die Souveränität des Landes, indem es beispielsweise dänische Spezialkräfte am Anti-Terror-Kampf beteiligte, ohne dass diese ein Stationierungsabkommen mit der malischen Regierung hätten. Inzwischen wurden der französische Botschafter und die Dänen rausgeworfen. Für die kommenden Tage hat Frankreich eine Grundsatzentscheidung über den eigenen Einsatz angekündigt.
Korrupte und reformunwillige Regierung
Das Scheitern einer korrupten und reformunwilligen Regierung hatte im vergangenen Jahr einem Pusch von Oberst Assimi Goita den Weg bereitet, inzwischen Übergangspräsident von Mali. Er ist nicht demokratisch legitimiert, hätte aber gute Chancen bei schnellen Wahlen, die nicht nur Deutschland fordert. Auch die Zivilgesellschaft in Mali sieht in ihm einen Hoffnungsträger, der die sich zunehmend verschlechternde Sicherheitslage wieder ins Lot bringen kann.
Goita war in den Jahren 2008 und 2016 als Offizier zur Ausbildung in Deutschland, ohne dass mit ihm noch engere Kontakte gepflegt wurden. Dass aber unter ihm russische Söldner ins Land kamen, sorgte für scharfe Kritik des Westens. Allerdings können die westlichen Militärs nun auch beobachten, wie russische und malische Soldaten Schulter an Schulter islamistische Terrorristen zurückschlagen, während die EU auf «Ertüchtigung» setzt, also Ausbildung und Ausrüstungshilfe mit dem Ziel der Befähigung zum eigenständigen Kampf.
Das Konzept wirkt auf dem Papier schlüssig. Allerdings ist es in anderen Formaten bereits zwei Mal im grossen Stil gescheitert. So streckte im Jahr 2014 die von den USA hochgerüstete irakische Armee vor IS-Terroristen die Waffen und suchte das Heil in der Flucht. Und im vergangenen Jahr ergab sich die afghanische Armee unerwartet schnell und kampflos den militant-islamistischen Taliban.
Zwei Putsche innerhalb von neuen Monaten
Seit 18 Monaten kommen Putsche und Putschversuche in Westafrika und der Sahelregion Schlag auf Schlag. Erst war es Mali, dann folgten der Tschad, erneut Mali, Guinea, Burkina Faso und Guinea-Bissau. In immer mehr Ländern der Region sind Militärs an der Macht.
Mali habe mit zwei erfolgreichen Staatsstreichen innerhalb von neun Monaten viele in der Region inspiriert, sagen politische Analysten. Im August 2020 stürzten malische Soldaten Präsident Ibrahim Boubacar Keita, einen engen Freund Frankreichs. Im Mai setzte das Militär dann auch den zivilen Übergangspräsidenten ab.
Die Militärmachthaber unter Goita wollen vor allem die sich ständig verschlechternde Sicherheitslage im Norden und Zentrum des Landes unter Kontrolle bekommen. Dort verüben zahlreiche Milizen, die zum Teil dem Islamischen Staat (IS) oder der Terrororganisation Al-Kaida die Treue geschworen haben, regelmässig Anschläge und arbeiten am Aufbau eines Parallelstaats. Armut, Dürren und ein schwacher Staat, dem tiefgreifende Korruption und Handlungsunfähigkeit vorgeworfen wird, spielen den Dschihadisten in die Hände.
Ein ursprünglich für Ende Februar angesetzter Wahltermin wurde für fünf Jahre auf Eis gelegt. Der westafrikanische Staatenbund Ecowas protestierte mit einem Handelsembargo und dem Einfrieren des Staatshaushalts. Auch die EU verhängte Sanktionen. Doch die Junta stellt sich zunächst stur.
«Sanktionen haben viele Malier wütend gemacht»
Die internationale Gemeinschaft sei damit zwischen Prinzipien und Pragmatismus hin- und hergerissen, sagt Mathieu Pellerin, ein Analyst des Forschungsinstituts International Crisis Group (ICG). Einerseits müsse man auf die Rückkehr zur verfassungsmässigen Ordnung drängen. Andererseits sei ein konstruktiver Dialog notwendig, um die eigene Sicherheitsstrategie im Land nicht zu gefährden, so Pellerin.
Statt sich gegen die Junta zu stellen, ist der Zuspruch innerhalb der Bevölkerung - die am meisten unter den Sanktionen leidet - gewachsen. «Die Sanktionen haben viele Malier wütend gemacht und einen Patriotismus geweckt, der der Übergangsregierung zugutekommt», erklärt Ornella Moderan, Sahel-Expertin beim afrikanischen Institut für Sicherheitsstudien (ISS). Die internationale Gemeinschaft solle weniger auf einen Wahltermin pochen, sondern eher Dialog suchen.
Besonders Frankreich gilt in Mali mittlerweile als «Bösewicht». Dagegen geniesse Deutschland einen guten Ruf, sagt Ulf Laessing, Leiter des Sahelprogrammes der Konrad-Adenauer-Stiftung. Doch das Risiko sei hoch, als Verbündeter Frankreichs mit in den verbalen Schlagabtausch hineingezogen zu werden. Bei Strassenprotesten gegen die Sanktionen habe es bereits Plakate mit «Tod an Frankreich und seine Verbündeten» gegeben, das sei kein gutes Zeichen, sagt Laessing. «Wenn Wahlen jetzt stattfinden würden, hätten die Militärs gute Chancen, gewählt zu werden», so Laessing. Wichtig sei, dass Deutschland eine klare, eigene Sahel-Strategie entwickle, einschliesslich eines Exit-Szenarios.