Westliche Staaten sehen Abschaffung der Sittenpolizei im Iran skeptisch
Iranische Aktivisten und westliche Staaten haben sich am Montag skeptisch zu einer Auflösung der Sittenpolizei im Iran gezeigt und die Bedeutung des Schritts in Frage gestellt.
Die Bundesregierung erklärte, die Abschaffung der Polizeieinheit werde nichts an den Forderungen der iranischen Bevölkerung ändern. Die US-Regierung widersprach Hoffnungen auf Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen. Derweil kursierten in Online-Medien Aufrufe zu einem dreitägigen Streik im Iran.
«Nichts, was wir gesehen haben, deutet darauf hin, dass die iranische Führung ihre Behandlung von Frauen und Mädchen verbessert oder die Gewalt gegen friedliche Demonstrierende einstellt», erklärte das Aussenministerium in Washington.
Es gehe den im Iran Protestierenden nicht nur um die Auflösung der Sittenpolizei oder die Abschaffung des Kopftuchzwangs, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes (AA) in Berlin. Die Menschen wollten «frei und selbstbestimmt» leben.
Der iranische Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri hatte am Samstag die Auflösung der Sittenpolizei verkündet. «Die Sittenpolizei hat nichts mit der Judikative zu tun und wurde von denen, die sie geschaffen haben, abgeschafft», zitierte ihn die Nachrichtenagentur Isna. Seit dem Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei Mitte September geht eine Protestwelle durch das Land, gegen die Teheran mit Härte durchgreift.
Die Verkündung Montaseris wurde als Geste gegenüber den Demonstrierenden gewertet. Doch Aktivisten zweifelten an den Äusserungen, weil sie eher eine spontane Antwort auf eine Frage bei einer Konferenz zu sein schienen – statt einer klaren Bekanntgabe bezüglich der Sittenpolizei. Sie untersteht dem Innenministerium.
Menschenrechtsaktivisten kritisierten überdies, dass eine Abschaffung nichts an den strengen Kleidervorschriften für Frauen ändere. Die Polizeieinheit aufzulösen sei «wahrscheinlich zu wenig und zu spät» für die Demonstrierenden, die nunmehr unverhohlen einen Wandel in der Staatsführung forderten, erklärte Roja Borumand vom Abdorrahman Borumand Center mit Sitz in den USA. «Solange sie nicht alle gesetzlichen Beschränkungen für Frauenkleidung und Gesetze, die das Privatleben der Bürger kontrollieren, aufheben, ist das nur eine PR-Massnahme.»
Omid Memarian von der Organisation Democracy for the Arab World Now erklärte, die «mutmassliche Aussetzung der Sittenpolizei des Irans bedeutet nichts, da sie wegen des massiven zivilen Ungehorsams der Frauen und der Missachtung der Hidschab-Vorschriften bereits irrelevant geworden ist».
Die Kopftuchpflicht sei «eine der Säulen der Islamischen Republik», sagte Memarian. Diese Gesetze und Strukturen abzuschaffen, würde einen «fundamentalen Wandel in der Identität und Existenz» bedeuten.
In den Online-Netzwerken gab es derweil Aufrufe zu einem dreitägigen Streik ab Montag. Die Geschäfte im Grossen Basar in der Hauptstadt Teheran waren zwar geöffnet, doch die Gänge blieben fast leer. «Wir sind geöffnet, aber wir sind geschlossen, weil keine Kunden da sind», sagte ein Boutiquenbesitzer. Fotos im Internet zeigten geschlossene Geschäfte in Sanandadsch in der Provinz Kurdistan und aus der drittgrössten iranischen Stadt Isfahan.
Dem Streikaufruf hatte sich laut der Nachrichtenagentur Isna auch der Fussball-Star Ali Daei angeschlossen – und geriet so ins Visier der iranischen Justiz. «Aufgrund seiner Zusammenarbeit mit konterrevolutionären Gruppen, die im Internet agieren, um den Frieden und den Handel zu stören, wurden Ali Daeis Restaurant und sein Juweliergeschäft versiegelt», berichtete Isna unter Berufung auf die Justizbehörde.
Der letzte Streiktag, Mittwoch, ist zugleich der Nationale Studententag. Es ist der Jahrestag der Tötung dreier oppositioneller Studenten durch Polizeieinheiten des Schahs 1953. An diesem Mittwoch wird Präsident Ebrahim Raisi zu Besuch an zwei Universitäten in Teheran erwartet, berichtete die Nachrichtenagentur Irna. Universitäten gehörten ebenfalls zu den Schauplätzen der jüngsten Protestwelle.