Die Ukraine hat laut eigenen Angaben in Russland ein Gebiet von rund 1000 Quadratkilometern erobert. Experten ordnen ein, was das für Wladimir Putin bedeutet.
Wladimir Putin Kursk Ukraine
Mit dem Angriff auf die russische Region Kursk hat die Ukraine Wladimir Putin auf dem falschen Fuss erwischt. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der ukrainische Gegenangriff auf russischem Territorium hat den Kreml überrascht.
  • Laut einem Osteuropa-Experten kommt dadurch eine neue Dynamik in den Krieg.
  • Wenn Russland die Ukrainer nicht zurückschlagen kann, werde Putin «Sündenböcke» finden.
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Die Überraschungsoffensive der ukrainischen Streitkräfte auf russischem Boden wird als «Schock für das russische Militär und den Kreml» bezeichnet. Laut der Militärführung in Kiew kontrollieren ukrainische Truppen in der Region Kursk mittlerweile ein Gebiet von etwa 1000 Quadratkilometern.

Laut Osteuropa-Experte Nicolas Hayoz von der Universität Freiburg komme dadurch eine neue Dynamik in den Krieg. Bisher sei die Ukraine in der Defensive gewesen und habe sich mühsam gegen die ständigen Angriffe wehren müssen. Jetzt käme dieser überraschende ukrainische Vorstoss auf russisches Territorium.

«So gesehen, und das monieren auch Militärspezialisten, war das ein brillanter Schachzug», sagt Hayoz auf Anfrage. Damit könne die Ukraine im Krieg wieder die Initiative ergreifen. «So gesehen kann die Operation, die jetzt ziemlich viele ukrainische Kräfte einbezieht, für Entlastung sorgen.»

Entlastung heisse auch, dass die Russen gezwungen würden, Kräfte in die Kursk-Region zu schicken. «Dazu kommt wahrscheinlich, dass die Ukrainer das besetzte Gebiet halten wollen, um es als Pfand für spätere Verhandlungen einzusetzen.»

Wladimir Putin im Dilemma

Die Frage sei dann, ob das gut gehe und ob die Ukrainer das besetzte Gebiet auch tatsächlich halten könnten. «So oder so ist das für die ukrainische Seite moralisch gesehen eine sehr ermutigende Erfahrung.»

Ukraine Russland Offensive Kursk
Die Ukraine hat eigenen Angaben zufolge in der russischen Region Kursk ein Gebiet von rund 1000 Quadratkilometern erobert.
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Laut Osteuropa-Experten bringt die Gegenoffensive der Ukraine auf russischem Territorium Wladimir Putin in ein Dilemma.
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Denn einerseits müsse er die eigene Bevölkerung vor den ukrainischen Angriffen warnen.
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Andererseits müsse er sein Normalitätsversprechen gegenüber der russischen Bevölkerung und den Überfall auf die Ukraine unter der deklarierten Kriegsschwelle halten.
Putin Kursk Ukraine Offensive
Zur Wahrung der eigenen Glaubwürdigkeit müsse Putin aber die Ukrainer im Gebiet Kursk zurückschlagen.
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Das soll deswegen wie eine «antiterroristische» Aktivität aussehen und nicht wie eine Kriegshandlung.

Auch laut Ulrich Schmid, Osteuropa-Experte von der Universität St. Gallen, sollen die eroberten Gebiete eine Verhandlungsmasse bei Friedensgesprächen werden. Er glaubt, dass durch den Angriff der Ukraine Soldaten an der Front im eigenen Land fehlen. Aber: «Der Motivationsschub durch den militärischen Erfolg ist für die ukrainische Armee wichtiger.»

Hayoz hingegen glaubt, dass «diese mechanisierten ukrainischen Einheiten» seit langem in Reserve gehalten und entsprechend vorbereitet wurden. Sie seien nicht von der Front im Süden «abgezogen» worden.

Glaubst du, dass die ukrainische Offensive in Kursk erfolgreich sein wird?

Die Gebietseroberungen bei Kursk würden laut den beiden Experten Putin in ein Dilemma bringen: Einerseits müsse er vor dem gefährlichen ukrainischen Angriff warnen, so Schmid. Andererseits müsse er sein Normalitätsversprechen gegenüber der russischen Bevölkerung und den Überfall auf die Ukraine unter der deklarierten Kriegsschwelle halten.

«Es ist aber klar, dass er zur Wahrung der eigenen Glaubwürdigkeit die Ukrainer im Gebiet Kursk zurückschlagen muss.» Das Ganze soll deswegen wie eine «antiterroristische» Aktivität aussehen und nicht wie eine Kriegshandlung, erläutert Hayoz. Der Ausruf des Kriegszustandes mit der Ukraine wäre schon problematischer, vor allem was die Mobilisierung von Soldaten betreffe.

Wladimir Putin wird Ukraine-Offensive für Propaganda nutzen

Die russische Bevölkerung merke jetzt plötzlich, dass sie nun auch auf ihrem eigenen Territorium bedroht seien. Und dass Wladimir Putin die versprochene Sicherheit nicht bieten könne. Vor allem die Evakuierungen würden ja die akute Gefahr zeigen.

Das könne sich aber laut Hayoz wieder ändern: Wenn russische Truppen die ukrainischen zurückschlagen könnten. Und wenn nicht? «Dann kommt das, was Wladimir Putin immer macht: Er hat ‹Sündenböcke›, die verantwortlich gemacht werden für die militärischen Misserfolge.»

So könne er etwa Behörden und Militärs zur Verantwortung ziehen. «Aber bedroht wird das Regime sicher nicht dadurch, da müsste noch ganz viel mehr geschehen.»

Verfolgst du die Geschehnisse im Ukraine-Krieg?

Denn der Grossteil der betroffenen Russen werde weiter zum Regime stehen und die Ukraine verurteilen. Hayoz und Schmid sind sich einig, dass Wladimir Putin den ukrainischen Angriff zu Propaganda-Zwecken nutzen wird.

«Er kann in der russischen Bevölkerung den Eindruck erwecken, dass die Propaganda die Realität wiedergibt: Die Ukraine führe mit westlichen Waffen einen Krieg gegen Russland», erklärt Schmid.

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