Coronavirus: Effekt von Lockdowns wohl deutlich überschätzt
Nach einem Jahr Pandemie mehren sich Anzeichen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen vielen Massnahmen und dem Infektionsgeschehen nicht immer belegbar ist.
Das Wichtigste in Kürze
- Laut deutschen Forschern wird der Effekt von Lockdowns wohl deutlich überschätzt.
- Die Infektionsdynamik war bei unseren Nachbarn jeweils schon vor den Massnahmen am Sinken.
Lockdowns sind seit Ausbruch der Pandemie weltweit zu einer der meist genutzten Strategien zur Bekämpfung des Coronavirus geworden. Wie eine neue Studie aufzeigt, dürften Massnahmen wie Ausgangsbeschränkungen, Notbremsen und Schulschliessungen aber nicht immer zielführend gewesen sein.
Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) kommen nämlich zum Schluss: Der Effekt wird oft überschätzt. Die statistische Untersuchung der deutschen Wissenschaftler nach über einem Jahr der Pandemie konnte – zumindest in Deutschland – keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den vielen Massnahmen und dem Infektionsgeschehen belegen.
Wichtig: Bei ihren Untersuchungen orientierten sich die Forscher demnach nicht an Inzidenzen. In der Studie heisst es nämlich: Eine Bewertung des Infektionsgeschehens anhand der Anzahl berichtete Fälle oder darauf basierender Raten, wie beispielsweise der 7-Tages-Inzidenz, sei aufgrund des variierenden Testverhaltens nur sehr eingeschränkt möglich.
R-Wert aussagekräftiger als Inzidenzen
Für wesentlich aussagekräftiger erachten die Forscher hingegen den sogenannten Reproduktionswert (R-Wert). Der R-Wert zeigt an, wie viele Menschen im Schnitt von einem Infizierten angesteckt werden und hängt laut den Experten nur wenig vom Testverhalten und den gemeldeten Positiv-Ergebnissen ab.
Die Wissenschaftler verglichen laut der Studie die erste, zweite und die dritte Corona-Welle in Deutschland und stellten beim R-Wert seit September keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den getroffenen Massnahmen fest.
Die Infektionsdynamik sei bereits vor dem «Lockdown Light» im November sowie auch vor der weiteren Verschärfung im Dezember am Sinken gewesen. Auch Mitte April sei der R-Wert erneut gefallen und dieser Abfall sei auch schon vor der «Bundesnotbremse» Ende April erkennbar gewesen.
«Die ergriffenen Massnahmen könnten den Verlauf des Infektionsgeschehens durchaus positiv beeinflusst haben, jedoch nicht allein ursächlich für den Rückgang verantwortlich sind», urteilen die Experten.
Infektionsketten können mit Tests durchbrochen werden
Sinnvoll erachten die Forscher übrigens auch gross angelegte Teststrategien: «Wir sehen sowohl am Arbeitsplatz wie schon in den Schulen den deutlichen Effekt der Reihentestungen.»
Das verpflichtende Testangebot führe zunächst zu einem sprunghaften Anstieg der Fälle, langfristig würden die Inzidenzzahlen aus Ausbrüchen aber wieder sinken, heisst es in dem Bericht.
Die Schlussfolgerungen der Forscher: Mit den Tests können Infektionsketten erkannt und durchbrochen werden. Doch die Experten halten auch fest: «Die Fallzahlen aus Ausbrüchen in Schulen sind weiterhin unbedeutend gering.» Eine viel grössere Rolle hätten die Infektionen am Arbeitsplatz gespielt.