Sterbefasten: Erstaunlich hohe Zahlen in der Schweiz
Eine neue Zürcher Studie belegt: Sterbefasten ist in der Schweiz weiter verbreitet als bisher angenommen.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Sterbefasten bezeichnet den «Freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit».
- Viele Hausärztinnen und -ärzte haben schon Erfahrungen damit gemacht.
- Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat dazu eine Studie erstellt.
Über 40 Prozent der Hausärztinnen und -ärzte haben schon Erfahrungen mit Sterbefasten gemacht. Dies bringt eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) an den Tag. Diese Art zu sterben wird in der Fachsprache auch «Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit» (FVNF) genannt. Laut der ZHAW ist dies ein in der Schweiz noch «wenig beachtetes Phänomen».
Unerwartete Resultate
Im Rahmen des Forschungsprojekts «VARIED: Vorkommen des FVNF in der Schweiz» wurden rund 750 Ärztinnen und Ärzte zu dem Thema befragt. Die Umfrage ergab: In ihrer beruflichen Laufbahn hatten sie mit durchschnittlich elf Fällen von Sterbefasten zu tun. «Einen solch hohen Wert hätten wir nicht erwartet», so Sabrina Stängle. Sie ist Co-Autorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle Pflegewissenschaft am ZHAW-Departement Gesundheit.
Als mögliche Erklärung für dieses Ergebnis nennt Stängle die Vertrauenswürdigkeit der Hausärztinnen und -ärzte. Sie seien für ihre Patientinnen und Patienten «wichtige Vertrauenspersonen.» Deshalb würden ihnen betroffene Menschen die Absicht zum Sterbefasten mitteilen.
Kein Konsens zum Umgang mit FVNF-Fällen
Stängle kritisiert, dass es bis jetzt an einheitlichem Umgang mit Sterbefasten-Fällen mangle. Ihr zufolge brauche es einen Konsens, für den Umgang mit dem FVNF. Ihr zufolge brauche es auch mehr Möglichkeiten für Fachkräfte, um Betroffene und Angehörige besser informieren zu können. «Es kann verheerend sein, wenn Betroffene und Angehörige nicht richtig aufgeklärt werden», warnt sie auf der Webseite der ZHAW.
Grossteil der Fachkräfte akzeptiert Sterbefasten
Interessant ist auch die Einstellung der Hausärztinnen und -ärzte gegenüber dem Sterbefasten. Eine mit Unterstützung des Berufsverbands der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH durchgeführte Befragung ergab: Fast 60 Prozent sehen das Sterbefasten als natürlichen, von Fachkräften begleiteten Sterbeprozess an. 32 Prozent betrachten den FVNF als passive Sterbehilfe und über 5 Prozent sehen darin assistierten Suizid.
Die Befragung zeigt auch: Fachkräfte, die bereits Erfahrungen mit dem Sterbefasten gemacht haben, sind diesem Phänomen gegenüber grundsätzlich positiver eingestellt.
Über zwei Drittel der Befragten können den Prozess mit ihrer Weltanschauung oder Religion vereinbaren. Bei fast 58 Prozent steht dabei auch die Berufsethik nicht im Weg. Der FVNF-Prozess wird allerdings auch von knapp der Hälfte der Fachkräfte als Belastung empfunden.
Die ZHAW-Forschenden untersuchten im Rahmen von «VARIED» auch, wie viele Menschen an den Folgen des Sterbefastens gestorben sind. 1,1 Prozent der Todesfälle im Jahr 2017 hatten demnach ein angekündigtes Sterbefasten zur Ursache – in absoluten Zahlen 458 Personen.
Die Forschenden gehen bei ihrem Befund jedoch davon aus, dass die Dunkelziffer weit höher liegt. Demnach kommen auf jeden Fall von angekündigtem Sterbefasten zwei oder mehr Fälle, bei denen Betroffene ihren Entscheid nicht kommuniziert haben.