50 Jahre Frauenstimmrecht - Wieso kam es in der Schweiz so spät?
Dieses Jahr feiert das Frauenstimmrecht in der Schweiz das 50-jährige Jubiläum. Wieso hat dies ausgerechnet in der zweitältesten Demokratie so lange gedauert?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schweiz feiert das 50-jährige Jubiläum des Frauenstimmrechtes.
- Die Schweiz gewährte ihren Frauen als eines der letzten Länder die vollen Bürgerrechte.
- Ein Hauptgrund war paradoxerweise die frühe Demokratisierung.
50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz: Das Thema erzielt im Gespräch mit Ausländern immer wieder Heiterkeitserfolge. Ausgerechnet die zweitälteste Demokratie der Welt gewährte als eines der letzten Länder weltweit Frauen ihre vollen Bürgerrechte. Sogar Dschibuti und Kiribati waren früher - und die meisten islamischen Staaten.
Die frühe Demokratisierung 1848 war paradoxerweise gerade der Hauptgrund für die späte Einführung des Frauenstimmrechts. Dies ist in der einschlägigen Fachliteratur nachzulesen.
Frauenstimmrecht nur durch Verfassungsänderung
In anderen Staaten konnte das Parlament dieses Recht einführen. In der Schweiz musste es jedoch durch eine Verfassungsänderung geschehen und diese erforderte zwingend einen Volksentscheid. Und das Volk ist nun einmal im Durchschnitt weniger aufgeklärt als die politische Elite.
Ausserdem hing der männliche Souverän an seinen Privilegien. In der Schweiz besonders ausgeprägt war: «Die Konstruktion der republikanischen Männlichkeit - und damit verbunden der Ausschluss der Frauen aus der Politik.»
Männerbündlerische Gründungsmythen
Die Ideologie war eng verflochten mit den männerbündlerischen Gründungsmythen der Eidgenossenschaft. Werner Seitz erläutert dies in seinem Buch «Auf die Wartebank geschoben». Ein einig Volk von Brüdern halt.
Im Zuge einer Totalrevision der Verfassung wäre die Einführung des Frauenstimmrechts relativ sanft, ohne viel Diskussion, vonstattengegangen. Aber die erste Totalrevision kam 1874 zu früh und die zweite erfolgte erst wieder 1999.
Dienende Rolle wurde ins Öffentliche erweitert
Als kontraproduktiv erwies sich laut Seitz auch die Einbindung der Frauen ins öffentliche Leben: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Frauenvereine gegründet, die im Armenwesen, der Mädchenbildung und der Krankenpflege tätig waren. Diese meist bürgerlichen Frauen verfolgten eine sogenannt dualistische Strategie: Die dienende Rolle als Gattin, Hausfrau und Mutter wurde ins Öffentliche erweitert. Auch die politische Unmündigkeit der Frau auf diese Weise zementiert.
Die politische Milizarbeit im Sozialbereich hatte aber laut Seitz auch ihr Gutes: Frauen erhielten Einblick in die Verwaltungsabläufe und in das Gesetzgebungsverfahren und konnten sich so politische Kompetenzen aneignen.
Politische Milizarbeit zahlte sich aus
Das zahlte sich aus: Bei den ersten Wahlen nach der Annahme des Frauenstimmrechts standen qualifizierte Frauen parat. Insgesamt waren es zehn Gewählte plus eine «Nachrückerin», immerhin fünfeinhalb Prozent des weiblichen Geschlechts. Und der Anteil wuchs kontinuierlich - jedenfalls im Nationalrat. Seit den letzten Wahlen 2019 beträgt der Frauenanteil dort 42 Prozent.
Im Ständerat, den kantonalen Regierungen und natürlich dem Bundesrat dauerte alles etwas länger. Elisabeth Kopp war 13 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts die erste gewählte Bundesrätin.
Der Direktor ihres Gymnasiums - sollte er noch gelebt haben - hat sich vermutlich gewundert. Er hatte die Schülerin einst dafür getadelt, dass sie einem Buben einen Platz an der Mittelschule «weggenommen» habe. Als Eisprinzessin wäre sie doch besser aufgehoben, fand er.
621'109 Schweizer Männer sagten Ja
Bei seiner Einführung hatte das Schweizer Frauenstimmrecht eine erstaunlich komfortable Mehrheit: Am 7. Februar 1971 sagten 621'109 Schweizer Männer Ja zum Stimm- und Wahlrecht für Frauen. Das entsprach einem Anteil von 65,7 Prozent bei einer Stimmbeteiligung von 57,7 Prozent. Zu dem Zeitpunkt hatten Frauen bereits in neun Kantonen das kantonale und kommunale Stimm- und Wahlrecht.
«Die Sonne für das Schweizer Frauenstimmrecht ging in der Schweiz im Westen auf.» Das schreibt Lotti Ruckstuhl in ihrem Buch «Frauen sprengen Fesseln» (1986). Gemeint sind die Westschweizer Kantone, die eine Vorreiterrolle übernahmen: Die Waadt war 1959 der erste Kanton, der das kantonale Frauenstimmrecht einführte, im gleichen Jahr folgte Neuenburg und 1960 Genf. Diese drei (plus Basel-Stadt) hatten 1971 auch den höchsten Ja-Stimmen-Anteil - mit 82 bis 91,1 Prozent.
Der Osten brauchte länger
Ganz nach Osten, zu den Appenzellern, drang lange kein Gleichberechtigungs-Sonnenstrahl. Beim ersten eidgenössischen Frauenstimmrechts-Plebiszit 1959 betrug der Schweizer Durchschnitt 33,1 Prozent Ja-Stimmen. In Appenzell Innerrhoden waren nur 4,9 Prozent der Mannen dafür. 1971 sagten immerhin 28,9 Prozent Ja, allerdings waren das nicht einmal halb so viel wie im Schweizer Schnitt.
Nachdem Appenzell Ausserrhoden 1989 «wölzgott» das kantonale Frauenstimm- und Wahlrecht einführte, lehnten es die Innerrhoder 1990 zum dritten Mal ab. «Do gets etz e ke Bere!», meinte freilich das Bundesgericht und verschaffte den Innerrhoderinnen auf dem Rechtsweg auch auf kantonaler Ebene die politische Mündigkeit.
1991 klappte es auch im Appenzell
Am 28. April 1991 durften erstmals Frauen an der Innerrhoder Landsgemeinde teilnehmen. «De Schotz ischt hönneusi», beklagten die Appenzeller Männer: Wenn die Frauen an der Landsgemeinde sind, wer kocht dann und schaut den Kindern?