Alpiq-Chefin: Bundesrat hat Ausbau der Stromproduktion verschlafen
Alpiq-CEO Antje Kanngiesser wirft dem Bund vor, den Ausbau der Stromproduktion verschlafen zu haben. Entsprechende Warnungen seien jahrelang ignoriert worden.
Das Wichtigste in Kürze
- Antje Kanngiesser glaubt: Die Strommangellage wird uns auch in Zukunft beschäftigen.
- Für die Chefin des Energiekonzerns «Alpiq» hat der Bund die Warnungen zu lange ignoriert.
- Schon vor Jahren hätte der Bund einen Plan zum Ausbau der Stromproduktion vorlegen können.
Antje Kanngiesser sitzt im Konferenzraum in Olten, hinter ihr strahlt die Altstadt im winterlichen Glanz. Der Raum ist spärlich beheizt, auch bei der «Alpiq» wird Strom gespart, frei nach dem Motto: «Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht.» In Olten konnte seit Beginn der Kampagne bereits rund 20 Prozent des Verbrauchs eingespart werden.
Im Interview mit den «Tamedia»-Zeitungen verkündet die Chefin des zweitgrössten Energiekonzerns der Schweiz: Die Energiebranche habe schon lange vor einer Mangellage gewarnt.
«Wenn es längere Zeit kalt ist, wird es eng»
Den Aufruf vonseiten der Elcom, dass die Menschen sich mit Brennholz oder Kerzen eindecken sollten, nennt Kanngiesser «plakativ». Gleichzeitig begrüsst sie die deutliche Wortwahl von Werner Luginbühl. Auf diese Weise hätten wenigstens alle verstanden, wie ernst die Lage sei. Kanngiesser ist überzeugt, dass die Gefahr einer Mangellage uns über Jahre hinweg begleiten wird.
«Die Schweiz ist bei der Energie zu fast 80 Prozent von Importen abhängig: vor allem bei Gas und Öl, im Winter aber auch beim Strom. Auf der Produktionsseite wird sich kurzfristig wenig ändern. Der Bau neuer Kraftwerke dauert Jahre.» Dies habe zur Folge, dass die Problematik innert absehbarer Zeit nur auf der Verbrauchsseite gelöst werden könne.
Dass der Bund von einer «angespannten, aber nicht gravierend gefährdeten» Versorgungslage spricht, bestätigt Kanngiesser in der Tendenz. Tatsächlich hätte es in den vergangenen Wochen zahlreiche positive Entwicklungen gegeben. Trotzdem bleibe das Wetter der limitierende Faktor: «Wenn es längere Zeit kalt ist, wird es eng.»
Bund hat Warnungen ignoriert
Ausserdem macht sich die Chefin des Energiekonzerns «Alpiq» grosse Sorgen um die Cybersicherheit von Energieunternehmen. Ein Cyberangriff auf Kraftwerke und Stromproduzenten hätte aktuell «verheerende Folgen», sagte sie im Interview mit den «Tamedia»-Zeitungen. «Wenn ein System bereits am Anschlag läuft, bildet es das perfekte Ziel für Angreifer.»
Dass die Unternehmen am Anschlag laufen, hätte vermieden werden können. Der Bundesrat reagierte für die 48-Jährige zu kurzfristig. Schon «vor Jahren» hätte der Bund einen Plan zum Ausbau der Produktion von Strom vorlegen müssen. Darin hätte festgelegt werden müssen, wie viele Kilowattstunden jedes Jahr zusätzlich erforderlich sind.
Doch die Warnungen wurden damals als «Schwarzmalerei» abgetan – auch von den Medien. Der Bund hätte schon 2015 herausgefunden, dass eine Strommangellage eine erhebliche Bedrohung darstelle.
2020 kam ein zweiter Bericht zum gleichen Schluss. Trotzdem passierte nichts. «Wir müssen uns die Frage stellen, warum man solche Berichte erstellt, wenn man die Ergebnisse dann nicht ernst nimmt.»
Alpiq wünscht Stromabkommen mit der EU
Um künftige Strommangellagen zu vermeiden, brauche es ein Stromabkommen mit der Europäischen Union (EU). Das schlimmste Szenario wäre keine Kooperation mit der EU. «Wenn das eintritt, dann ist die Strommangellage in der Schweiz ab 2026 Realität», so die Alpiq-Chefin.
«Albert Rösti muss das Stromabkommen mit der EU ganz zuoberst auf seine Agenda setzen.» Kanngiesser ist zuversichtlich: Rösti habe bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass ihm die Versorgungssicherheit des Landes am Herzen liegt. Sie glaubt, dass er auch für das «Schlüsselthema EU» ein offenes Ohr für Lösungen haben werde.
Die jüngsten Entwicklungen hätten gezeigt, dass es nicht als Selbstverständlichkeit zu verstehen sei, jederzeit genügend Energie zu haben. Doch die Krise habe auch etwas Gutes: Die Krise zwinge uns dazu, weniger Energie zu verbrauchen und die eigene Energieversorgung unabhängiger vom Ausland zu machen. Ferner werde die Schweiz als Land resilienter und langfristig würde auch die Dekarbonisierung beschleunigt.