Basel: Darum stoppt Schweiz Flüchtlinge an Grenze nicht
Die französische Polizei wirft Flüchtlinge in Basel aus dem TGV. Die Schweiz wird kritisiert, weil man die Menschen nicht stoppt. Ein Beamten-Insider klärt auf.
Das Wichtigste in Kürze
- Nau.ch war unterwegs mit dem TGV von Basel nach Paris.
- Viele Flüchtlinge verstecken sich im Zug und versuchen, so nach Frankreich zu kommen.
- Aus dem Ausland wird die Schweiz kritisiert, weil man die Flüchtlinge nicht stoppt.
- Jetzt packt ein Beamten-Insider aus. Und erklärt, warum man die Menschen passieren lässt.
Donnerstag Morgen, 8.30 Uhr. Am Basler Bahnhof steht der TGV nach Paris bereit. Schweizer Touristen steigen mit Reisekoffern in den Zug, machen es sich auf den reservierten Sitzplätzen bequem.
Das Perron 9 ist kurz vor der Abfahrt noch immer gut gefüllt. Rund 40 Männer in dicker Kapuzenjacke stehen an den Geleisen. Sie unterhalten sich, der Blick wandert immer wieder in Richtung TGV. Die französische Polizei patrouilliert.
Um 8.34 blasen die Zugbegleiter in ihre Pfeife. Die verbliebenen Menschen auf den Geleisen drehen sich um und steigen hastig ein. Spätestens jetzt wird klar: Es handelt sich um Flüchtlinge, die von der Schweiz nach Frankreich wollen.
Viele werden an der Tür aufgehalten. Diejenigen, die es an den Polizisten vorbei schaffen, verteilen sich in den Waggons. Einige ducken sich im hintersten TGV-Wagen im Gepäck-Eck. Alles, was sie dabei haben, befindet sich in ihrer Jackentasche, ihre Kleidung ist schmutzig.
Sofort eilt die Grenzpolizei herbei. Mit schnellen, gezielten Schritten gehen die Polizisten durch die Abteile. Man merkt: Es ist ein Routine-Auftrag, die Beamten wissen genau, wo sie nachschauen müssen – und fündig werden. Zu zweit werden die Flüchtenden aus dem Zug gebracht.
Nicht alle werden entdeckt, wie sich nach eineinhalb Stunden Fahrt beim Gang zum Bistro in der Zugmitte zeigt. In den Zwischen-Abteilen und bei den Kofferablagen sitzt hier und da einer der Männer, den Blick in Richtung Boden gesenkt.
Die beiden einzigen Haltestellen Mulhouse und Belfort-Montbéliard sind passiert. Sie haben es geschafft – und werden um 11.38 Uhr in Paris eintreffen.
Beamten-Insider packt aus: Darum stoppt Schweiz Flüchtlinge nicht
Für Zugreisende ist es ein aufwühlendes Erlebnis. Viele schauen sich fragend an und rätseln, was hier gerade vorgeht. Was passiert jetzt mit ihnen? Und warum greift die französische Polizei schon in Basel ein?
Ein Beamten-Insider*, der das Ganze tagtäglich mitverfolgt, packt nun aus.
«Die Flüchtlinge kommen zurzeit vor allem aus Afghanistan», sagt der Bundesangestellte, der anonym bleiben will, zu Nau.ch. «Sie haben kein Interesse, in der Schweiz zu bleiben, wollen auch nicht in ein Verfahren aufgenommen werden.»
Ihr Ziel heisse Deutschland und – wie in diesem Fall – Frankreich.
Und das wüssten auch die hiesigen Behörden. Die Polizei kontrolliere sie, halte sie aber nicht fest. «Es bringt schlichtweg nichts, den Flüchtenden den Weg zuzumachen. Nach Afghanistan zurück kann man sie sowieso nicht schicken, und in der Schweiz wollen sie nicht bleiben.»
Meistens sind Flüchtlinge nur ein paar Stunden in der Schweiz
Die Flüchtenden seien untereinander gut vernetzt. Sie erkundigen sich auf dem Handy, wie sie am besten nach Frankreich oder Deutschland kommen.
Von Schweizer Seite legt man ihnen offenbar keine Steine in den Weg. «Die französische Polizei will sie hingegen nicht auf dem einfachsten Weg ins Land lassen. Und das ist von Basel aus der TGV.»
Am Ende ändere das aber nichts. «Die Flüchtlinge sind meistens nur ein paar Stunden, maximal ein paar Tage in der Schweiz. Schaffen sie es nicht in den TGV, kommen sie über andere Wege an ihren Zielort.»
«Die Schweiz verschliesst die Augen nicht, aber ...»
Aus Deutschland gab es zuletzt Kritik. Die Schweiz handle nicht im Sinne des Dublin-Abkommens, welches die Asylverfahren in Europa regelt.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter entgegnete gegenüber SRF hingegen: «Wenn die Menschen kein Asylgesuch stellen und weiterreisen, dann gibt es auch kein Dublin-Verfahren.»
Der Beamten-Insider sagt zu Nau.ch:
«Von aussen sieht es so aus, als würde man die Augen verschliessen und die Arme verschränken. Die Augen verschliessen die Behörden nicht. Es ist aber in der Tat so, dass niemand Interesse an einem unnötigen Aktivismus hat. Nicht die Behörden, aber auch nicht die Flüchtlinge.»
*Name der Redaktion bekannt