Baselbieter Gemeinden schlittern in die Finanzkrise
Oberdorf, Sissach oder Gelterkinden budgetieren für 2024 rund eine Million Franken Defizit. Ohne höhere Steuern und Reform wird es langfristig nicht mehr gehen.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Budget mehrerer Baselbieter Gemeinden sind hohe Defizite veranschlagt.
- Viel Spielraum haben die Gemeinden, wenn es ums Sparen geht, nicht.
- Lediglich Steuererhöhungen und tiefgreifende Reformen könnten in Zukunft Abhilfe schaffen.
«Die fetten Jahre sind vorbei» oder «Prognose rot bis dunkelrot». So und ähnlich lauten derzeit die Schlagzeilen zu den Voranschlägen der Gemeinden oberhalb von Liestal, die dieser Tage an den Gemeindeversammlungen verabschiedet wurden.
Die Überschriften weisen alle auf das gleiche Problem hin: Die Gemeinden im oberen Baselbiet geraten zusehends finanziell an den Anschlag.
Die Budgets für das kommende Jahr strotzen geradezu vor Ausgabenüberschüssen. Rot, so weit das Auge reicht, sind die Zahlen.
In Sissach, Gelterkinden, Lausen, ja sogar in den kleineren Gemeinden Oberdorf und Ormalingen beträgt der Fehlbetrag rund eine Million. In Eptingen, Niederdorf, Waldenburg, Tenniken, Läufelfingen fehlt eine halbe Million.
In zahlreichen weiteren Gemeinden liegen die Defizite ebenfalls im sechsstelligen Bereich. Und schaut man sich die Finanzpläne für die nächsten Jahre an, dann ist keine Besserung in Sicht. Im Gegenteil: Die Defizite steigen weiter an.
Kaum Sparmöglichkeiten
Problematisch an der Situation ist, dass die Gemeinden kaum über namhaftes Sparpotential verfügen. Haupttreiber bei den Kosten sind die Posten Schule/Bildung, Alter/Pflege und die Sozialhilfe. In allen drei Punkten sind die Ausgaben gesetzlich gebunden. Das heisst, die Gemeinden müssen bezahlen, können die Kosten aber praktisch nicht steuern.
Piero Grumelli ist Gemeindepräsident von Oberdorf und damit Chef einer der am stärksten betroffenen Gemeinden. Er blickt entsprechend nicht optimistisch in die Zukunft. «Es wird für uns immer schwieriger, die Finanzierung unserer Aufgaben und die Einkünfte unter einen Hut zu bringen», sagt er.
Will heissen: Die Einkünfte halten mit den Ausgaben nicht Schritt – das führt zu einem strukturellen Defizit. Dieses lässt sich aber nur beseitigen, indem man darauf verzichtet, gewisse Aufgaben zu erfüllen. Das ist jedoch für die kleineren Gemeinden im oberen Kantonsteil praktisch unmöglich. Eine andere Möglichkeit wäre, die Steuern zu erhöhen.
Verhasste Steuererhöhungen
Wie unpopulär indessen Steuererhöhungen sind, haben kürzlich Nusshof, Waldenburg und Böckten – drei Gemeinden mit Bilanzfehlbetrag – demonstriert. In Waldenburg wurde eine Erhöhung von schon bisher sehr hohen 69,5 auf 72 Prozent der Kantonssteuer abgelehnt. In Nusshof scheiterte eine Erhöhung von sechs Prozentpunkten auf 65 Prozent und in Böckten eine um drei Prozentpunkte auf 62 Prozent. Dass eine Steuererhöhung der Attraktivität einer Gemeinde nicht förderlich ist, braucht nicht betont zu werden.
Für Piero Grumelli ist daher klar, dass sich der Kanton bei den drei genannten Bereichen, in denen die Kosten für die Gemeinden aus dem Ruder laufen, stärker engagieren muss. «Es braucht dringend einen anderen Schlüssel für die Kostenverteilung zwischen Gemeinden und Kanton. Sonst kann eine Sanierung der Gemeindefinanzen nicht gelingen», sagt der Gemeindepräsident von Oberdorf.
Das Problem ist nur: Auch beim Kanton sind die fetten Jahre vorbei. Die Nationalbank-Millionen bleiben aus. Bereits in der laufenden Rechnung 2023 droht dem Kanton Baselland ein Defizit. Und für 2024 wurde ein Minus von 57 Millionen Franken budgetiert.
Der Zeitpunkt für ein stärkeres finanzielles Engagement bei den traditionellen Gemeindeaufgaben ist daher nicht eben günstig.
Auch Regula Meschberger macht sich Sorgen um die Gemeindefinanzen. Die Birsfelder Gemeinderätin und frühere SP-Landrätin ist Präsidentin des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG). «Wir führen im VBLG seit längerer Zeit intensive Diskussionen. Die ultimative Lösung haben wir aber auch nicht», sagt Meschberger.
Möglicherweise müsse man das ganze System des Finanzausgleichs komplett neu überdenken und eine grundsätzliche Änderung ins Auge fassen.
Strukturen überprüfen
Diese Änderungen kann Regula Meschberger allerdings auch nicht aus dem Hut zaubern. «Vielleicht brauchen wir wieder so etwas wie eine Zukunftskonferenz», meint deshalb die VBLG-Chefin. Klar ist für sie aber, dass auch die Gemeindestrukturen insgesamt überprüft werden müssen. «Denn die Kleinstgemeinde funktioniert auf die Dauer nicht mehr.»
Mit Fusionen ist es im Baselbiet aber so eine Sache. Das hat das Scheitern des Zusammenschlusses von Arisdorf und Hersberg jüngst wieder deutlich gezeigt. Die Abneigung gegen Fusionen, sei es auf kantonaler oder kommunaler Ebene, hat hierzulande fast schon eine irrationale Note.
Und auch Piero Grumelli hält nichts von Fusionen, um etwa im Waldenburgertal die Gemeindefinanzen zu sanieren. «Wir haben dann immer noch die gleichen Leute, einfach in einem grösseren Verband. Und verwaltungsmässig liesse sich auch kaum etwas einsparen», erklärt der Gemeindepräsident.
So dürfte denn kurzfristig vielen Gemeinden im oberen Baselbiet kaum viel anderes übrig bleiben, als wohl oder übel die Gemeindesteuern anzuheben. Tun sie es nicht freiwillig, so nimmt eines Tages der Kanton die Erhöhung vor.
Zum Autor: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal OnlineReports.ch publiziert. Per 1. Juli haben Alessandra Paone und Jan Amsler übernommen.